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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele
Autoren: Thea Dorn
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seinen Zarathustra rufen lässt: »Alle Lust will Ewigkeit - will tiefe, tiefe Ewigkeit!« In keinem Motiv ertönt dieser Dreiklang feierlicher als in jenem vom »Bergmann zu Falun«. Die Geschichte taucht in Deutschland zum ersten Mal im Jahre 1807 auf, als der Arzt und romantische Naturphilosoph Gotthilf Heinrich Schubert in Dresden bei abendlichem Kerzenschein seine Vorlesungen über die »Nachtseiten der Naturwissenschaft« hält. Die Vorlesungen sind ein Feldzug gegen die mechanistische Weltsicht der sich entwickelnden modernen Naturwissenschaften und versprechen im Gegenzug, »das älteste Verhältnis des Menschen zu der Natur, die lebendige Harmonie des Einzelnen mit dem Ganzen« darzustellen. Es geht um Somnambule und Magnetisierer, um Träume, um die Übergänge von lebloser Materie in belebte und umgekehrt. In diesem Zusammenhang erzählt Schubert auch vom Schicksal jenes jungen Bergmanns aus dem schwedischen Städtchen Falun, der 1670 tief im Stollen verschüttet wurde - und dessen Leiche, als sie ein halbes Jahrhundert später durch einen Zufall entdeckt wurde, vollkommen erhalten gewesen sein soll. Zwar interessiert sich der Naturwissenschaftler schon dafür, wie dieses »Wunder« zu erklären ist - der Leichnam soll von Eisenvitriol durchdrungen gewesen sein. Weit mehr interessiert ihn jedoch, wie die Geschichte weitergeht: Niemand vermag die geborgene Leiche zu identifizieren, bis eine Greisin auf Krücken naht - und ihren ehemaligen Verlobten wiedererkennt. Schubert beschließt seine Darstellung mit der Bemerkung, dass »bei der fünfzigjährigen Silberhochzeit der noch jugendliche Bräutigam starr und kalt, die alte und graue Braut voll warmer Liebe gefunden wurde«.
    Diese anrührend bizarre Begebenheit wird zu Beginn des 19. Jahrhunderts mitnichten unter der Rubrik »Vermischtes aus aller Welt« abgelegt - die zeitgenössischen Dichter von Johann Peter Hebel über Friedrich Rückert und Achim von Arnim bis hin zu E.T.A. Hoff mann stürzen sich auf den Stoff, als hätten sie in ihm ihre lang vermisste Braut wiedergefunden. Nicht allein, dass hier eine Liebesgeschichte den drögen Strom der Zeit so aberwitzig durcheinanderwirbelt, macht den Stoff für deutsche Romantiker magisch. Mindestens ebenso wichtig ist der Ort, an dem sich das Drama ereignet: ein Bergwerk.
    Es ist einer der eigentümlichsten Nebenstollen der deutschen Geistesgeschichte um 1800, mit welcher Begeisterung nicht nur Forscher, sondern auch Dichter und Denker das Bergwerk als »geheimnisvoll offenbaren« Seelenort entdecken. Der berühmteste, der immer wieder in die finsteren, von ungesunden Dämpfen erfüllten Gruben »einfährt«, ist Johann Wolfgang von Goethe. 36 Jahre seines Lebens beschäftigt sich der Geheimrat mit dem Bergwerk in Ilmenau am Nordhang des Thüringer Waldes, von 1780 bis 1813 ist er gar Direktor der dortigen »Bergwercks-Commission« - und kann nicht verhindern, dass das Unternehmen aufgrund von Wassereinbrüchen, Stollenbrüchen und ständigem Kapitalmangel im Debakel endet.
    Der junge Alexander von Humboldt dagegen macht in Preußen in den 1790er Jahren Karriere als höchst effizienter Oberbergrat. Als Goethe sich in seiner Verzweiflung an den erfolgreicheren Bergbaukollegen wendet, erteilt ihm dieser jedoch einen Korb: Das zwanzig Jahre jüngere Universalgenie will nicht nach Thüringen, um dem älteren zu helfen, sondern träumt bereits von seiner Entdeckungsreise ans andere Ende der Welt.
    Novalis, der zarte, im Alter von 28 Jahren verstorbene Dichter der Hymnen an die Nacht, arbeitet tagsüber als Bergassessor in der Salinenverwaltung in Weißenfels. Wer von der geistigen Elite nicht berufsbedingt in den Berg einfahren darf, will dies zumindest auf seinen Bildungsreisen nachholen: Wilhelm Heinrich Wackenroder besucht 1793 zusammen mit seinem frühromantischen Wander- und Herzensbruder Ludwig Tieck die Eisenmine »Gabe Gottes« in Oberfranken. Hingerissen schreibt er in einem Brief an die Eltern: »Mir war’s, als sollte ich in irgendeine geheime Gesellschaft, einen mysteriösen Bund aufgenommen […] werden.« Auch Joseph von Eichendorff, der große Poet des Waldes, nimmt die Grubenlampe selbst in die Hand, um in der Unterwelt »mit frommer Ehrfurcht« dem »Geisterlispeln« zu lauschen, jenem monotonen Tropfen, das Stalagmiten zu »menschenähnlichen Gespenstergestalten« formt. Selbst Heinrich Heine folgt 1824 bei seiner Harzreise der Empfehlung des damals populären Taschenbuchs für Harzreisende,
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