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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele
Autoren: Thea Dorn
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Stimmung, in der ihm alles mit seinem eigentümlichsten Geiste und in seiner ursprünglichen bunten Wunderbarkeit erscheint.« Nirgends stellt sich das Gefühl für die Verbundenheit des Einzelnen mit der Schöpfung - das sich die Menschen über Tage längst verbaut haben, obwohl es doch das einzige Gefühl ist, das ihre Seele in rechte Schwingungen versetzen kann - stärker ein als im Schoß der Erde. Bei Novalis ist dieser Gedanke nicht allein naturromantisch, sondern ebenso christlich gemeint: Er stattet seinen alten Bergmann im Ofterdingen mit Grubenlampe und Kruzifix aus, bevor er ihn sein erstes »inniges« Bergwerkserlebnis machen lässt.
    Heinrich Heine wittert in seiner Geschichte der Philosophie und Religion in Deutschland, dass es einen Zusammenhang geben muss zwischen Martin Luther als Erfinder des Protestantismus, des radikal nach innen gewandten Christentums, und der Tatsache, dass Luthers Vater Bergmann gewesen ist: »Da war der Knabe oft bei ihm in der unterirdischen Werkstatt, wo die mächtigen Metalle wachsen und die starken Urquellen rieseln, und das junge Herz hatte vielleicht unbewusst die geheimsten Naturkräfte in sich eingesogen.«
    Die Erfahrung jener »geheimsten Naturkräfte« ist es auch, die Goethe an den Bergbau fesselt. Der Morphologe Goethe behauptet - hier ganz Naturromantiker - eine unmittelbare Kontinuität vom Granit als dem »ältesten, festesten, unerschütterlichsten Sohn der Natur« bis zum menschlichen Herzen als dem »jüngsten, mannigfaltigsten, beweglichsten, veränderlichsten, erschütterlichsten Teil der Schöpfung« und preist deshalb alle Situationen, in denen diese Einheit spürbar wird - sei es beim Gang ins Bergwerk hinunter oder auf einen granitenen Gipfel wie den Brocken im Harz hinauf: »Hier ruhst du unmittelbar auf einem Grunde, der bis zu den tiefsten Orten der Erde hinreicht, keine neuere Schicht, keine aufgehäufte, zusammengeschwemmte Trümmer haben sich zwischen dich und den festen Boden der Urwelt gelegt.« Und so wird der Abgrund in paradoxer Umkehrung zum sichersten Grund, den der entfremdete Mensch gewinnen kann. Aber - das weiß der gescheiterte Bergwerksdirektor Goethe am allerbesten - es ist ein Missverständnis zu glauben, beim Bergbau ginge es in erster Linie darum, der Natur unterirdische Tempel zu errichten, in denen sich weihevolle Verschmelzungs- und Selbstfindungsrituale zelebrieren lassen. Es geht darum, wie Goethe in einer seiner Bergwerksreden selbst sagt, »die tief liegenden Gaben der Natur an das Tageslicht« zu fördern.
    Das alte Übel, die Schöpfung und damit auch die eigene Seele ausbeuterisch zu zerstückeln, schießt damit direkt in die Tiefe. Nicht zufällig lässt Goethe im zweiten Teil der Faust-Tragödie, den er im Eindruck seines Ilmenauer Scheiterns geschrieben hat, einen Chor der Gnome auftreten, die sich ironisch als »Felschirurgen« bezeichnen und ätzen: »Doch bringen wir das Gold zutag / Damit man stehlen, kuppeln mag.« Der faustische Drang zu erkennen, »was die Welt im Innersten zusammenhält« - und den sich der Bergwerksdirektor selbst attestiert, indem er zum Dienstjubiläum eines ehemaligen Kollegen dichtet: »Im engsten Stollen, wie in tiefsten Schachten / Ein Licht zu suchen, das den Geist entzünde / War ein gemeinsam köstliches Betrachten / Ob nicht Natur zuletzt sich doch ergründe?« -, dieser faustische Drang erschöpft sich nicht in interesseloser Erkenntnisfreude, sondern schreibt das Drehbuch zur Naturbeherrschung. Aus eben diesem Grund hat ja der Bergbau seit der Antike seinen üblen Ruf. Die Klage, die Ovid und Seneca gegen dieses gottlose Gewerbe führen, setzt sich fort bis zu Jean-Jacques Rousseau, der den Bergmann als frühen Turbokapitalisten verurteilt, der »die Eingeweide der Erde« durchwühlt, um »bei Gefahr seines Lebens und auf Kosten seiner Gesundheit in ihrem Innern nach eingebildeten Schätzen« zu suchen. Der britische Dichter William Blake spricht von Bergwerken gleich als »dark Satanic mills« - als »dunklen Fabriken Satans«.
    Wie anders klingt dagegen, was unser Bergassessor Novalis in seinem Heinrich von Ofterdingen ausrufen lässt: »Der Bergbau muss von Gott gesegnet werden! Denn es gibt keine Kunst, die ihre Teilhaber glücklicher und edler machte!«
    Spinnen die Deutschen?
    Jedenfalls glauben sie daran, dass es dem Menschen gelingen kann, sich sein Gemüt rein zu bewahren, obwohl er von kapitalistischen Versuchungen umstellt ist. »Arm wird der Bergmann geboren, und arm
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