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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele
Autoren: Thea Dorn
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gehet er wieder dahin. Er begnügt sich zu wissen, wo die metallischen Mächte gefunden werden, und sie zu Tage zu fördern; aber ihr blendender Glanz vermag nichts über sein lautres Herz. Unentzündet von gefährlichem Wahnsinn, freut er sich mehr über ihre wunderlichen Bildungen und die Seltsamkeiten ihrer Herkunft und ihrer Wohnungen als über ihren alles verheißenden Besitz. Sie haben für ihn keinen Reiz mehr, wenn sie Waren geworden sind, und er sucht sie lieber unter tausend Gefahren und Mühseligkeiten in den Festen der Erde, als dass er ihrem Rufe in die Welt folgen und auf der Oberfläche des Bodens durch täuschende, hinterlistige Künste nach ihnen trachten sollte.«
    Diese Liebesverklärung der Bergmannszunft entspringt nur zum Teil einer spezifisch Novalis’schen Schwärmerei. Bereits der Renaissance-Gelehrte Georgius Agricola aus Glauchau verlangt in seinem Erstlingswerk De re metallica, dem ältesten Lehrbuch der Bergbaukunde, dass der Bergmann der beste aller Werktätigen sein müsse, sowohl dem Bauern als auch dem Handwerker moralisch überlegen, gerade weil er es mit Rohstoffen zu tun hat, die zu schlimmstem Frevel verlockten: Wegen Gold würden Kriege geführt, wegen Gold ermordeten sich Menschen mit Waffen, die aus Erzen gefertigt sind. Agricola besitzt - wie Novalis - genügend Gottvertrauen, um den lauteren Bergmann für möglich zu halten.
    Auch Goethe zeigt sich in seinem zweiten monumentalen Alterswerk, in Wilhelm Meisters Wanderjahre, zuversichtlicher als in Faust II, dass es nicht zu Mord und Totschlag führen muss, wenn der Mensch den Bodenschätzen nachspürt. Der »Steinklopfer« Montan lebt in diesem Roman einsiedlerisch in den Bergen und versenkt sich in Felsklüfte, um »mit ihnen ein stummes, unergründliches Gespräch zu führen«. Denn er weiß: »Um einen Gegenstand ganz zu besitzen, zu beherrschen, muss man ihn um seiner selbst willen studieren.« Zwar geht es auch hier ums »Besitzen« und »Beherrschen« - aber gerade nicht im Sinne einer zweckrationalen Weiterverwertungslogik, sondern gemäß einer Geisteshaltung, die der Komponist Richard Wagner zu der kompakten Formel zusammenfasst: »Deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen zu tun.«
    Zum »innigen« Ort, zum stabilen Grund kann der Abgrund nur für denjenigen werden, der ihn als Selbstzweck begreift. Ist der Abgrund bei Heidegger das schlechthin Grundlose, ist er hier das schlechthin Zweckfreie. Wer in den Berg mit Hintergedanken - gleich welcher Art - einfährt, kommt darin um. Bei Joseph von Eichendorff wird der habgierige Schatzgräber im Stollen verschüttet, während »Hohnlachen wild erschallte / Aus der verfallnen Kluft«. Und in E.T.A. Hoffmanns Die Bergwerke zu Falun endet der arme Elis Fröbom als jugendlich konservierte Stollenleiche, weil er die Prophezeiung des alten Bergmanns in den Wind schlägt, dass ein Unglück geschehen wird, wenn er den Bergmannsberuf nur ergreift, um seine Angebetete heiraten zu dürfen, und nicht aus »wahre[r] Liebe zum wunderbaren Gestein und Metall«.
    In rührend naiven Deutungsvolten versuchen die Deutschen, den Bergbau dem kapitalistischen Schlund zu entreißen, Naturausbeutung mit Naturanbetung zu versöhnen. Und weil sie ahnen, dass dies allein nicht reichen könnte, wird der Bergbau auch noch zum sozialromantischen Projekt überhöht. Mit gönnerhaftem Pathos erklärt Goethe, als er sein Bergwerksengagement beginnt, dass er den »armen Maulwürfen« in Ilmenau helfen will, »dass das zweideutige Metall, das öfter zum Bösen als zum Guten angewendet wird, nur zu seiner Ehre und zum Nutzen der Menschheit gefördert sein möge«. Die Sozialromantik findet ihr jähes Ende, als Goethe scheitert und das Bergwerk abermals geschlossen werden muss - nicht zuletzt, weil es ökonomisch nicht straff genug geführt wurde.
    An dem Versuch, den Bergbau als ebenso sozialistisches wie romantisches Unternehmen zu betreiben, scheitert lange nach Goethe der DDR-Schriftsteller Franz Fühmann, den es gleichfalls unwiderstehlich in den Berg hinabzieht. Allerdings scheitert er mit umgekehrten Vorzeichen, scheitert als Schriftsteller. Zehn Jahre recherchiert er in den Kupfer- und Kalischächten im Mansfelder Land und in Thüringen, im Juni 1974 darf er - als erbetenes Honorar für eine Dichterlesung in der Gewerkschaftsbibliothek in Sangerhausen - zum ersten Mal in den Thomas-Müntzer-Schacht einfahren. Begeistert schreibt er seiner Frau: »Ursula, ich war im Berg! Es ist für
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