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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele
Autoren: Thea Dorn
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Fürst, Abendessen wie ein Bettelmann« verliert alles Trostlose. Nicht weil man ans Schlankbleiben bzw. - werden denkt. Weil man sich freut, dass Schlichtes glücklich macht.
    Anfängern, die das bloße Abendbrot nicht in die rechte Gemütslage zu bringen vermag, empfiehlt es sich, ein Bier zu öffnen. »Ich Geringer trinke täglich zum Abendbrot ein Glas helles Bier und reagiere auf diese anderthalb Quart so stark, dass sie regelmäßig meine Verfassung durchaus verändern. Sie verschaffen mir Ruhe, Abspannung und Lehnstuhlbehagen, eine Stimmung von >Es ist vollbracht!< und >Oh, wie wohl ist mir am Abend!<«, schrieb Thomas Mann im Jahre 1906.
    Der musikalisch versierte Abendbrötler wird das Stichwort des Schriftstellers sogleich aufnehmen. Im Geiste singt er Kanon mit sich selbst: »O wie wohl ist mir am Abend, / Mir am Abend, / Wenn zur Ruh’ die Glocken läuten, / Glocken läuten, / Bim, bam, bim, bam, bim, bam!«
    Doch auch der musikalisch weniger Versierte muss mit seinem Abendbrot nicht im Stillen sitzen bleiben. Er kann seine Stereoanlage aufdrehen und Sven Regener mit dessen Band Element of Crime lauschen: »Braungebrannte Arme brechen jeden Tag / Das harte Brot der Wirklichkeit, als war’s das letzte Mal […] Zum Abendbrot / Zum Abendbrot […]«
    Die Tendenz, meditative Mahlzeit der Einsamen zu sein, hatte das Abendbrot seit je. Gleichzeitig war der Abendbrottisch jahrhundertelang der Ort, an dem der Hausvater die Familie versammelte, um über die Ereignisse des Tages zu berichten und sich berichten zu lassen, auf dass im Anschluss gerichtet werde. Spuren davon haben sich bis in die Gegenwart erhalten, weshalb das Abendbrot dem Spätpubertierenden, der dem Elternhaus entronnen ist, als Inbegriff spießigen Schreckens erscheint. Er schwört, des Abends künftig alles zu essen von kalten Dosenravioli bis hin zu drei Tage altem Sushi. Nur nie wieder ein belegtes Brot.
    Dass belegte Brote einst in den erlesensten Zirkeln gereicht wurden, wenn man über Literatur, Politik und die großen Fragen der Welt plauderte, ist vergessen. Voll Stolz berichtete Johanna Schopenhauer ihrem Sohn Arthur, der zu jugendlicher Großmannssucht neigte, dass in ihrem Weimarer Salon nichts Kostspieliges, sondern lediglich Tee mit Butterbroten gereicht wird. Auch Rahel Varnhagen, die berühmteste Gastgeberin im romantischen Berlin, servierte Schlichtes, wenn sie die Größen ihrer Zeit zum »Teetisch« empfing. Die anschaulichste Beschreibung des gehobenen Abendbrots findet sich bei dem Juristen und Schriftsteller Felix Eberty, der uns in seinen Jugenderinnerungen eines alten Berliners in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts mitnimmt: »Bei den gewöhnlichen geselligen Abendzusammenkünften begnügte man sich […] mit einer Tasse Tee und Butterbrot, und setzte einige sehr zierlich, aber auch recht sparsam mit Wurstscheibchen, Braten und Schinkenschnitten belegte Teller auf die Tafel.«
    Geiz spielte bei dieser frugalen Sitte die unwesentlichste Rolle. Man wollte sich bewusst absetzen von den Abendschlemmereien in katholischen Ländern wie Frankreich, und ganz im Ernst: Wen interessieren Austern, gebratene Wachteln oder Petits Fours, wenn er die Wahl zwischen Johann Wolfgang von Goethe und Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Wilhelm und Alexander von Humboldt, Heinrich Heine und Bettine von Arnim hat? Kein Zufall also, dass die großbürgerlichen Gastgeberinnen erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als der deutsche Geist feister geworden war, ihren Ehrgeiz daransetzten, mit immer ausgefinkelteren Menüfolgen zu glänzen.
    Den endgültigen Niedergang des geistigen Abendbrots bezeugte der Nachkriegs-Kabarettist Wolfgang Neuss, als er verkündete: »Heut’ mach ich mir kein Abendbrot, heut’ mach ich mir Gedanken.« Wie schön wäre es, sich zur Abwechslung wieder einmal Gedanken zum Abendbrot zu machen.

Abendstille
     
    Hinter den Fenstern flackern die Bildschirme. Blaue Stunde. Der Zeiger der Fernsehuhr springt auf die Zwölf. Abendstille überall, nur am Bach die Nachtigall singt ihre Weise klagend und leise durch das Tal.
    Ein gut frisierter Sprecher begrüßt den Pflüger, der vor seiner Hütte ruhig im Schatten sitzt. Dem Genügsamen raucht sein Herd. Gastfreundlich tönt dem Wanderer im friedlichen Dorfe die Abendglocke. Wohl kehren jetzt die Schiffer zum Hafen auch in fernen Städten.
    Der Versuch, die gekaperte Loreley Zwei zu befreien, ist blutig gescheitert.
    Fröhlich verrauscht des Markts geschäftiger
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