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Die Company

Die Company

Titel: Die Company
Autoren: Robert Littell
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aufgeweichten Zigarette und spülte den Rauch mit einem kräftigen Schluck medizinischem Whiskey, wie er das nannte, hinunter. »Ich trinke, wie es in meinem Gesundheitsbericht heißt, eine toxische Menge von dem Zeug hier«, fuhr er fort und sprach damit das Problem an, das Jack sich nicht traute zur Sprache zu bringen, »weil die verdammten Barbaren leider dabei sind, den verdammten Krieg zu gewinnen.«
    Harvey Torriti, alias der Zauberer, stand von seinem Stuhl auf und ging zum Erkerfenster der Geheimwohnung, zwei Stockwerke über dem kleinen Ostberliner Kino. Durch die Dielenbretter drang von einem Kinofilm das ferne Geheul von Granaten, dann, als sie in die deutschen Stellungen krachten, eine Serie von dumpfen Explosionen. Mehrere von Torritis Nutten hatten in der Woche zuvor einen sowjetischen Kriegsfilm gesehen. Die junge Ukrainerin, die sich die Haare Chromfarben bleichte, behauptete, der Film wäre mit den üblichen zigtausend Statisten auf einem Studiogelände in Alma-Ata gedreht worden; in einer Szene, so sagte sie, hätte sie im Hintergrund den schneebedeckten Gebirgszug Alatau erkannt, wo sie Schlitten gefahren war, als man sie während des Krieges nach Zentralasien evakuiert hatte. Schniefend hob der Zauberer mit zwei dicken Fingern seiner behandschuhten Hand die Lamellen einer imaginären Jalousie und spähte durch die verdreckte Scheibe. Bei Sonnenuntergang war von der polnischen Steppe, bloß dreißig Meilen östlich, ein senffarbener Dunst herangetrieben worden, der den sowjetischen Sektor Berlins in eine unheimliche Stille hüllte, die gepflasterten Rinnsteine mit etwas überzog, das wie Algen aussah. Ein Stück die Straße hinunter flogen Dohlen in die Luft und umkreisten krächzend den Turm einer baufälligen Kirche, die in ein baufälliges Lagerhaus umgewandelt worden war. Draußen vor dem Kino war Silvan I zu sehen, einer von den beiden rumänischen Zigeunern, die für Torriti als Leibwächter arbeiteten; eine Strickmütze tief ins Gesicht gezogen, zerrte er einen Hund mit Maulkorb durch den trüben Dunstkreis einer Straßenlaterne. Ansonsten wirkten die Straßen von »West-Moskau«, wie die Profis der Company sagten, verlassen. »Wenn da draußen irgendwelche Homo sapiens das Ende des Jahres feiern«, brummte Torriti düster, »dann machen sie das aber ganz schön diskret.«
    Jack McAuliffe, auch »Zauberlehrling« genannt, der als Neuling mit Lampenfieber zu kämpfen hatte, rief bemüht lässig von der Tür: »Diese Ruhe find ich unheimlich, Harvey. Zu Hause in den Staaten gibt es an Silvester ein unglaubliches Hupkonzert.«
    Der zweite Zigeuner, Silvan II, in dessen dunklen Augen Torriti schon einen unschönen Hinweis auf Dinge hatte aufglimmen sehen, die der Rumäne verzweifelt zu vergessen suchte, streckte den Kopf aus dem Nebenzimmer herein, ein schlaksiger junger Mann mit einem pockennarbigen Gesicht. Ursprünglich hatte er Geistlicher der orthodoxen Kirche werden wollen, war jedoch in der Spionagebranche gelandet, nachdem die Kommunisten sein Seminar dichtgemacht hatten. »Hupkonzerte verstoßen in der Deutschen Demokrati schen Republik gegen das Gesetz«, verkündete Silvan II, »e benso wie in unserem kapitalistischen Deutschland.«
    Am Fenster hauchte der Zauberer eine Scheibe mit seinem Whiskey-Atem an und rieb sie mit dem Unterarm sauber. Über den Dächern ragten die obersten Stockwerke von einigen hohen Mietshäusern wie Eisbergspitzen aus der dunstigen Stadtlandschaft. »Das liegt nicht an den deutschen Gesetzen«, sagte Torriti trübsinnig, »das liegt an der deutschen Wesensart.« Er drehte sich so plötzlich vom Fenster weg, dass er fast das Gleichgewicht verloren hätte. Er hielt sich an der Lehne eines Holzstuhls fest und schob seinen schweren Körper vorsichtig auf die Sitzfläche.
    »Zufällig bin ich in der Company Spezialist für deutsche Wesensart«, behauptete er mit heller, aber seltsam melodischer Stimme. »Ich war bei einer Befragung des Lagerkommandanten von Auschwitz dabei, am Abend, bevor das Schwein gehängt wurde. Wie hieß er noch gleich? Höß. Rudolf Höß. Das Schwein hat behauptet, es könnte gar nicht sein, dass er fünftausend Juden am Tag ermordet hätte, weil die Züge nur zweitausend ranschaffen konnten. Das nennt man eine wasserdichte Verteidigung. Wir haben alle geraucht wie die Konzentrationslagerschlote, und man konnte förmlich sehen, dass Herr Höß es vor Lungenschmacht kaum noch aushielt, also hab ich ihm eine von meinen Camels angeboten.«
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