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Die Company

Die Company

Titel: Die Company
Autoren: Robert Littell
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fand. Zufrieden mit seiner Arbeit, ging der Kalabrier zu dem Stuhl mit dem Aktenstapel und durchsuchte ihn, bis er fand, wonach er suchte: eine Akte, auf der in lateinischen Buchstaben CHOLSTOMER stand. Er hob den Saum seines Skapuliers, klemmte sich die Akte unter den Gürtel und sah sich abschließend um, ob er auch nichts vergessen hatte.
    Wieder im Korridor, zog der Kalabrier die Wohnungstür zu und hörte, wie das Schloss einrastete. Nach einem kurzen Blick auf seine Uhr – in vier Minuten würden die Wachen die nächste Runde machen – eilte er die Treppe hinunter und durch die Einfahrt zum Lieferanteneingang. Der Offizier in Zivil starrte ihn sichtlich mitgenommen an, scheute sich, die Frage zu stellen. Der Kalabrier lächelte nur, als er den Nachschlüssel zurückgab. Die Lippen des Offiziers öffneten sich, und er sog rasch die Luft ein. Er öffnete die kleine blaue Tür so weit, dass der Kalabrier hinausschlüpfen konnte, und verriegelte sie hinter ihm.
    Das Taxi wartete mit angelehnter Tür. Der Kalabrier ließ sich in den Fond sinken und streifte gemächlich die Latexhandschuhe ab, Finger für Finger. Der Fahrer, ein junger Korse mit einer gebrochenen, schlecht gerichteten Nase, fuhr die noch menschenleere Straße hinab, zunächst vorsichtig, um keinerlei Aufmerksamkeit zu erregen, beschleunigte dann, sobald er in einen breiten Boulevard eingebogen war, und fuhr in Richtung Civitavecchia am Tyrrhenischen Meer, fünfunddreißig Minuten von Rom entfernt.
    Dort, in einem Lagerhaus in den Docks, einen Steinwurf entfernt von dem russischen Frachter Wladimir Iljitsch, der am Morgen bei einsetzender Flut in See stechen sollte, würde der Kalabrier seinen Führungsoffizier treffen, einen schlanken Mann mit dünnem weißem Bart und grüblerischen Augen, der sich schlicht Statik nannte. Er würde ihm die Mordwerkzeuge zurückgeben – die Handschuhe, den Dietrich, das Metallkästchen, das Glas mit den letzten Tropfen vergifteter Milch, das leere Fläschchen – und ihm die Akte mit der Aufschrift CHOLSTOMER aushändigen. Und er würde die Tasche entgegennehmen, die ein königliches Honorar enthielt, eine Million Dollar in gebrauchten Scheinen; nicht schlecht für fünfzehn Minuten Arbeit. Wenn die Nonne im Morgengrauen aus ihrer Betäubung erwachte und Albino Luciani tot in seinem Bett fand, würde der Kalabrier bereits an Bord des kleinen Fischerbootes sein, das ihn innerhalb von zwei Tagen ins Exil an die sonnengetränkten Strände von Palermo bringen würde.
     

Vorspiel
    Anatomie einer
Exfiltration
    » Aber ich will doch nicht unter Verrückte gehen! «, widersprach Alice.
    » Ach, dagegen lässt sich nichts machen «, sagte die Katze;
    » hier sind alle verrückt. Ich bin verrückt. Du bist verrückt. «
    » Woher weißt du denn, dass ich verrückt bin? «, fragte Alice.
    » Musst du ja sein «, sagte die Katze,
    » sonst wärst du doch gar nicht hier. «
     
    LEWIS CARROLL, Alice im Wunderland

Berlin,
Sonntag, 31. Dezember 1950

    E
    ine lädierte Kuckucksuhr an der Wand über dem Kamin, mit verbogenem Stundenzeiger und fehlendem Minutenzeiger, ließ die Sekunden in das schäbige Zimmer tropfen und von Wand zu Wand hallen. Der Mann, der als The Sorcerer, der Zauberer, bekannt war, sog langsam mit verzerrtem Gesicht die eisig kalte Luft ein, die ihm in die Nase stach. »Irgendwann werden diese verdammten Schriftsteller auch mal darüber schreiben, was wir hier gemacht haben.«
    »Ich liebe Spionagegeschichten«, sagte Silvan II kichernd von der Tür des Nebenzimmers aus.
    »Die machen bestimmt ein Melodrama daraus«, sagte Jack McAuliffe. »Die werden das so darstellen, als hätten wir Cowboy und Indianer gespielt, um etwas Heiterkeit in unser ödes Leben zu bringen.«
    »Spionage – falls man das so nennen kann, was ich seit Jahren mache – heitert mein Leben kein bisschen auf«, sagte Silvan II.
    »Vor jeder Operation krieg ich Magenkrämpfe.«
    »Und ich bin nicht in diesem verdreckten Regenloch von Stadt, weil es mein Leben aufheitert«, sagte The Sorcerer. »Ich bin hier, weil die verdammten Barbaren vor den verdammten Toren stehen.« Er zog einen abgenutzten Schal über die vor Kälte gefühllosen Ohrläppchen, steppte mit seinen schmuddeligen Cowboystiefeln auf dem Boden, um die Durchblutung der Zehen in Gang zu halten. »Hörst du, was ich sage, Kumpel? Hier spricht nicht der Alkohol, hier spricht der Boss der Berliner Basis. Irgendwer muss ja schließlich die Stellung halten.« Er sog an einer
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