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Die Company

Die Company

Titel: Die Company
Autoren: Robert Littell
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unter der verschwitzten Achselhöhle und einen kurzläufigen 38er Colt Detective Special in einem Halfter, das er mit Klebeband unten an der Wade befestigt hatte, doch er hatte es sich zur Regel gemacht, nur dann nach einer Waffe zu greifen, wenn er wirklich damit rechnen musste, sie auch zu benutzen. Falls McAuliffe lange genug bei ihm in Berlin bleiben sollte, würde auch er das noch lernen: Der Anblick einer Waffe machte die nervösen Menschen in der Spionagebranche nur noch nervöser; und je nervöser sie wurden, desto wahrscheinlicher wurde es, dass irgendwer am Ende irgendwen niederschoss, was für jede Operation ein unbefriedigender Abschluss war.
    Soviel Torriti auch an Anfängern herumzunörgeln hatte, es verschaffte ihm dennoch einen gewissen Kitzel, solche Grünschnäbel unter seine Fittiche zu nehmen. Für ihn war die Spionagearbeit eine Art Religion – es hieß, der Zauberer könne auch dann mit einer Menschenmenge verschmelzen, wenn keine da war –, und es bereitete ihm instinktives Vergnügen, seine Jünger zu taufen. Und alles in allem schätzte er McAuliffe – mit der getönten Pilotensonnenbrille, dem struppigen Kosakenschnauzbart, dem flammend roten Haar, das er pomadig nach hinten gekämmt und mit Mittelscheitel trug, der tadellosen Höflichkeit, die einen Hang zu Gewalttätigkeit kaschierte – eine Stufe höher ein als das übliche Kanonenfutter, das ihm Washington zurzeit so schickte, und das trotz des Handicaps, dass der Neue in Yale studiert hatte. Er hatte etwas fast komisch Irisches an sich: der Nachfahre des unbesiegten Weltmeisters im Faustkampf, ein McAuliffe, dessen Motto »Einmal auf die Bretter geschickt ist noch kein Kampf« gelautet hatte; der sündige Moralist, der am Ende lachte und die Fäuste schwang und nicht aufhören wollte, bloß weil der Gong ertönte; der sündige Katholik, der mit jemandem, den er beim Frühstück kennen lernte, eine lebenslange Freundschaft schließen konnte, um ihn schon nachmittags zur Hölle zu wünschen.
    An der Tür steckte Jack verlegen die Pistole wieder ins Halfter. Der Zauberer klopfte sich mit einem Fingerknöchel an die Stirn. »Krieg es endlich in deinen Dickschädel; wir sind die Guten, Kumpel.«
    »Herrgott noch mal, Harvey, ich weiß, wer die Guten sind, sonst wäre ich nicht hier.«
    Draußen auf dem Flur knarrten die Dielenbretter. Eine Faust pochte gegen die Tür. Der Zauberer schloss die Augen und nickte. Jack zog die Tür auf.
    Ein kleiner, kräftig gebauter Mann mit kurz geschorenem rabenschwarzem Haar, einem ovalen, slawischen Gesicht und einer feuchtwächsernen Haut stand auf der Schwelle. Sichtlich nervös blickte er rasch zu Jack, bevor er mit zusammengekniffenen, leicht asiatischen Augen die buddhaähnliche Gestalt musterte, die an dem kleinen Tisch tief in Gedanken versunken schien. Plötzlich erwachte der Zauberer zum Leben, begrüßte den Russen mit einer fröhlichen Geste und winkte ihn zu dem freien Stuhl. Der Russe ging zum Erkerfenster und spähte auf die Straße hinunter, wo gerade eines von den neuen ostdeutschen Autos mit heiser hustendem Motor an dem Kino vorbeituckerte. Beruhigt durch die Ruhe, die draußen herrschte, ging der Russe einmal durch den Raum, wobei er eine Fingerspitze über einen gesprungenen Spiegel gleiten ließ und versuchsweise die Klinke des Nebenzimmers drückte. Schließlich blieb er vor der Kuckucksuhr stehen. »Was ist mit den Zeigern passiert?«, fragte er.
    »Als ich das erste Mal in Berlin war«, sagte der Zauberer, »das war eine Woche nach dem ›Großen Vaterländischen Krieg‹, wie ihr Witzbolde ihn bezeichnet, wimmelte es hier nur so von mageren Pferden, die vor Wagen gespannt waren. Die dürren Kinder, die ihnen zuschauten, aßen Eichelkuchen. Die Pferde wurden von russischen Soldaten geführt. Auf den Wagen türmte sich Beutegut – Betten, Kloschüsseln, Heizgeräte, Wasserhähne, Küchenspülen und Herde, so gut wie alles, was nicht niet- und nagelfest war. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie Soldaten aus Hermann Görings Villa Sofas hinaustrugen. Nichts war ihnen zu groß oder zu klein. Ich wette, dass der Minutenzeiger der Kuckucksuhr auf einem von diesen Wagen war.«
    Ein bitteres Grinsen zeichnete sich auf den Lippen des Russen ab. »Ich habe auch so ein Fuhrwerk geführt«, sagte er. »Ich war Nachrichtenoffizier in einem Infanterieregiment, das sich in vier Wintern von Moskau bis zu den Trümmern des Reichstags durchgekämpft hat. Unterwegs kamen wir an Hunderten von
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