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Die Buchmalerin

Die Buchmalerin

Titel: Die Buchmalerin
Autoren: Beate Sauer
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schwerfällig losschritt, verstand Donata, dass er sie tatsächlich gehen ließ.

    *

    Der Mann, der Roger hieß, verharrte oberhalb der Talkrümmung, als er die Stimme von Léon, dem Diener, hörte. Seit sich der Diener früh am Morgen vom Tross des Kardinals entfernt hatte, war er ihm durch die Wälder der südlichen Eifel gefolgt. Dabei war er sorgfältig darauf bedacht gewesen, sich zu verbergen. Denn der Diener des Kardinals war gut ausgebildet und wachsam. Und Roger musste davon ausgehen, dass Léon mit Verfolgern rechnete.
    Vorsichtig arbeitete sich Roger den verschneiten und vereisten Hang hinauf. Als er eine Höhe erreicht hatte, von der aus er das Tal jenseits der Krümmung überblicken konnte, kauerte er sich hinter dem Stamm einer hohen Buche nieder. Die Sonne befand sich in seinem Rücken und würde jeden blenden, der mit den Augen den Hang absuchte. Ein Umstand, der ihm selbst jedoch eine gute Sicht bescherte. Zusätzlich schützte ihn ein breiter Strauch, zwischen dessen Zweigen vertrocknete Samenkapseln hingen, vor Entdeckung.
    Als Roger sich aufrichtete, bemerkte er verwundert, dass der Diener des Kardinals sein Pferd angehalten hatte. Er hatte einen mageren, ärmlich gekleideten Knaben an der Schulter gepackt, der dem Stimmbruch kaum entwachsen sein konnte. Der Junge gehörte nicht zum Gefolge des Kardinals. Und auch auf den Burgen oder in den Klöstern oder wo sonst der Kardinal mit seinem Tross Halt gemacht hatte, war Roger ihm – dessen war er sich gewiss – nie begegnet.
    Ein Bote? Er verwarf diesen Gedanken sofort wieder. Niemand würde einen dermaßen jungen und schmächtigen Burschen mit einem Botengang in dieser Einöde betrauen. Außerdem war das schmale, blasse Gesicht, das zu dem Diener aufsah, voller Angst. Wahrscheinlich handelte es sich um einen der vielen immer ausgehungerten Handwerksburschen, die auf der Suche nach einer Arbeit das Land durchzogen. Das jedoch erklärte immer noch nicht, warum sich Léon mit dem Jungen befasste. Roger bedauerte, dass die beiden zu weit entfernt waren, als dass er hätte verstehen können, was sie sagten.
    Der Diener des Kardinals zerrte dem Jungen jetzt das Bündel von der Schulter, legte es vor sich auf den Sattelbogen und griff hinein. Roger sah ein Messer im Sonnenlicht funkeln, während Léon es in der Hand wog. Er sagte etwas, woraufhin sich der Junge ein wenig aufzurichten schien. Der Diener lachte und fuhr mit der Durchsuchung des Bündels fort. Nach einer kurzen Weile vollführte der Junge eine Gebärde, die Roger beinahe flehend erschien, so als wollte er etwas beschützen. Roger konnte nun erkennen, dass Léon ein längliches Päckchen in den Händen hielt. Gespannt beugte der Mann auf dem Hügel sich vor. Enthielt das Päckchen Briefe? War der Junge doch ein Bote? Ein Bote, dessen Nachricht Enzio von Trient – aus welchen Gründen auch immer – fürchtete? Wenn das zutraf, würde der Knabe diese Begegnung nicht überleben.
    Roger empfand ein flüchtiges Mitleid und musterte den Jungen genauer. Erstaunt bemerkte er, dass dessen Gesichtsausdruck wechselte. Während der Diener das Leder auseinander gerissen hatte, war die Miene des Knaben voller Entsetzen gewesen. Doch nun war die Furcht von seinem Gesicht gewichen. Sehnsüchtig, so erschien es Roger, ruhte der Blick des Jungen auf Léons Händen. Auch noch etwas anderes schwang darin mit, was er jedoch nicht deuten konnte. Zwischen dem Leder befanden sich längliche, schmale Dinge, die mit Metall versehen sein mussten. Denn als der Diener die Hände bewegte und die Sonne auf den Inhalt des Päckchens traf, blitzten Lichtfunken auf. Briefe trug der Junge nicht bei sich.
    Plötzlich verstand Roger, woran ihn der Ausdruck des Knaben erinnerte. Er hatte dergleichen oft genug gesehen, und auch er selbst hatte ihn früher häufig genug gehabt: den Blick eines ausgehungerten Bettlerkindes, der voller Verlangen auf köstliche Speisen gerichtet war. Speisen, wie sie auf den Tafeln der Reichen kredenzt wurden.
    Nun warf der Diener des Kardinals das Bündel in den Schnee und setzte seinen Weg fort. Der Junge bückte sich und starrte dem Reiter hinterher, als könnte er es nicht recht fassen, dass er unbehelligt blieb. Roger achtete nicht weiter auf ihn. Er erhob sich eilig und zwängte sich durch das Unterholz, um wieder ein Stück talwärts zu gelangen, wo die Bäume weniger dicht standen und wo er Léon leichter folgen konnte.
    Er hatte beinahe den Saum des Waldes erreicht, als er nicht weit
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