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Die Buchmalerin

Die Buchmalerin

Titel: Die Buchmalerin
Autoren: Beate Sauer
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antwortete knapp und leise. Schritte knirschten auf dem Schnee und verklangen, während sich jemand, der bei dem, was er tat, ein leises schabendes Geräusch verursachte, in der zerstörten Kirche zu schaffen machte. In der Ferne wieherten Pferde. Eine Weile später knirschten wieder Schritte im Schnee und verloren sich dann.
    Von irgendwoher war nun ein Wimmern zu hören. Entsetzt fragte sich Donata, ob der Mönch noch einmal von den Toten zurückgekehrt war und, von Schmerzen gepeinigt, über den Boden der Kirche kroch. Doch schließlich begriff sie, dass sie es selbst war, die das Wimmern ausstieß. Als sie die Lider aufschlug, umgab sie eine undurchdringliche Dunkelheit.
    Ein Teil ihres Wesens wünschte sich nichts sehnlicher, als aus dem Altarsockel zu kriechen und zu fliehen. Doch ein anderer Teil, und dieser war stärker, fürchtete sich vor dem, was draußen, in der zerstörten Kirche, auf sie warten mochte. Frierend presste sie sich gegen das Mauerwerk, wagte es kaum, sich zu rühren, und wartete darauf, dass die Nacht zu Ende ging.

    *

    Als ein Strahl grauen Lichts durch den Riss im Altarsockel fiel, tastete Donata nach dem Kleid, das sie sich am Abend zuvor zum Schutz gegen die Kälte um die Füße geschlungen hatte. Sie fand es und band es sich, da sie unter ihrem Mantel erbärmlich fror, wie ein Tuch um den Oberkörper. Das Leder ihrer Schuhe war feucht und klamm. Aber ihre Füße waren von der Kälte ohnehin so gefühllos, dass sie dies kaum spürte. Nachdem sie die Steine so weit entfernt hatte, dass sie nach draußen schlüpfen konnte, griff sie nach ihrem Bündel und kroch, darum bemüht, kein Geräusch zu verursachen, aus ihrem Versteck.
    Langsam schob sie sich an dem Sockel entlang, bis sie um seine Ecke spähen konnte. Fahles Morgenlicht füllte das Innere der zerstörten Kirche. Sie war leer bis auf einen Fuchs, der über den Boden huschte und witternd, mit hoch erhobenem Schwanz verharrte, als habe er ihre Gegenwart gespürt. Einen kurzen, hastigen Atemzug lang hoffte Donata, dass an diesem Ort kein Mord geschehen und das, was sie gesehen hatte, nur Teil eines schlimmen Traums gewesen war. Doch nun bemerkte sie die Fußtritte im Schnee und den länglichen Haufen nahe dem zerstörten Portal. Sie erinnerte sich wieder an das leise schabende Geräusch, das sie nach dem Mord gehört hatte. Der Diener hatte Schnee über den Leichnam gehäuft …
    Erneut wurde Donata von Entsetzen erfüllt. Sie sprang auf und stürzte nach draußen. Erst als sie die verschneite Hecke erreichte, die einmal ein Teil der Umfriedung gewesen sein mochte, wagte sie es, stehen zu bleiben und sich umzuschauen.
    Die Ruine lag in einer Mulde von beinahe ovaler Form, die der Länge nach von einem vereisten Bachlauf durchschnitten wurde. Steil aufragende, bewaldete Hügel bildeten ihre Ränder. Über dem östlichen Hügelkamm ging die Sonne auf, tauchte die dicht verschneiten Wipfel der Bäume in ein eisig funkelndes Licht. Der Himmel war klar. Während der nächsten Stunden würde es nicht schneien. Aber die Kälte war so beißend, dass Donatas Zähne aufeinander schlugen.
    Verzweiflung erfasste sie. Die Sicht war, im Gegensatz zum Vortag, klar und der Wind hatte sich gelegt. Aber der Schnee, ihr Feind, lag noch ein gutes Stück höher und sie wusste immer noch nicht, wo sich die nächste Ortschaft befand, geschweige denn, wie weit sie entfernt war. Auch ein Weg war nirgends auszumachen. Falls es jemals einen Pfad gegeben hatte, der aus dieser Wildnis herausführte, so hatte ihn der Schnee unter sich begraben.
    Eine Stimme flüsterte Donata zu, sie solle sich in den Schnee fallen lassen. Es werde nicht lange dauern und die Schmerzen in ihren kalten Gliedern ließen nach. Sanft werde der Schlaf sie umfangen, Angst und Qual für immer auslöschen. Leicht sei der Tod durch Erfrieren. Ganz anders als die Pein des Feuertodes.
    Aber eine andere Stimme sprach dagegen. Sagte, dass die Pein des Feuertodes noch sanft sei verglichen mit den immerwährenden Schmerzen, die sie in der Hölle erwarteten. Jener Hölle, die für die rückfälligen Ketzer bestimmt war. Oder jener noch tieferen Hölle für die Menschen ohne Glauben.
    Diese Stimme war die stärkere. Sie trieb Donata aus dem Schutz der Hecken und zwang sie, sich durch den Schnee zu kämpfen und auf den Wald zuzulaufen, der sich auf der anderen Seite der Lichtung erhob.
    Als sie den Saum der Bäume fast erreicht hatte, stand die Sonne ein wenig höher am Himmel. In dem gelblichen
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