Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Buchmalerin

Die Buchmalerin

Titel: Die Buchmalerin
Autoren: Beate Sauer
Vom Netzwerk:
Sie starrte auf den Pferdeleib, der sich gleichmäßig hob und senkte. Dort, wo der Sattelgurt verrutscht war, zeichnete sich eine Einkerbung im Fell ab. Ihr Kopf war wie leer.
    »He, Junge! Antworte! Sieh mich an!« Er schüttelte sie grob, sodass ihr der Kopf in den Nacken fiel und die Zähne aufeinander schlugen.
    Sie musste sich zwingen, zu dem Diener aufzublicken. Seine Miene zeigte Ärger und Ungeduld.
    »Verzeiht, Herr. Ich habe Euch nicht verstanden …« Ihre Stimme klang sehr hoch und dünn.
    »Was tust du in dieser Gegend? Wo kommst du her?« Wieder schüttelte er sie.
    »Ich … Ich bin ein Schreiber und auf dem Weg von Burgund nach Köln. Ich will mir dort Arbeit suchen«, stammelte sie schließlich, wobei sie lateinische Wortbrocken gebrauchte. »Gestern, während des Schneesturms, habe ich mich verlaufen …«
    Voller Furcht dachte Donata, dass der Diener sie sicher fragen würde, wie sie bei dieser Kälte die Nacht überstanden hatte. Was sollte sie antworten? Dass sie sich ein Feuer entzündet und sich daran gewärmt hatte? Mitten im Schneesturm brannte kein Feuer … Sie ertrug es nicht länger, in die sandfarbenen Augen zu sehen. Ihr Blick irrte am Gesicht des Dieners vorbei und über den Winterhimmel, der in einem hellen Blau erstrahlte. Über einem entfernten Hügel stieg ein Rauchfaden beinahe senkrecht in die Luft. Ein einsam gelegener Weiler oder die Hütte eines Köhlers …
    »Vor Einbruch der Dunkelheit bin ich auf eine verlassene Köhlerhütte gestoßen und habe darin die Nacht verbracht. Ich hatte Glück, Herr.« Sie wurde etwas ruhiger.
    Er betrachtete sie prüfend, ehe ein flüchtiges Grinsen über sein Gesicht zog und er barsch sagte: »Seit wann sind Milchbärte wie du, die den Stimmbruch kaum überwunden haben, schon Schreiber?« Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm er ihr das Bündel ab. Er legte es vor sich auf den Sattelbogen und griff hinein. Als Erstes zog er Donatas Messer heraus und wiegte es nachdenklich in der Hand.
    »Wozu benötigt ein Bürschlein wie du eine Waffe?«
    »Um Gänsekiele zurechtzuschneiden. Und … Und um mich zu verteidigen. Die Wege sind nicht immer sicher …«
    Der Diener lachte trocken auf. »Ich schätze, du wirst einen furchtbaren Gegner abgeben.«
    Er griff wieder in das Bündel, förderte Schnur, Feuerstein und Zunder zu Tage, eine kleine Flasche aus Ton, die Tinte enthielt, einen hölzernen Löffel und zwei Leinenhemden. Erst als Donata den grauen Stoff in der Hand des Reiters sah, wurde ihr klar, was für ein Glück es war, dass sie am Morgen ihr Kleid als Schutz gegen die Kälte um den Oberkörper geschlungen hatte. Sicher hätte es die Aufmerksamkeit des Dieners erregt. Es war höchst unwahrscheinlich, dass er ihr eine Lügengeschichte, warum sie dieses Kleid mit sich führte, geglaubt hätte.
    Noch immer blickte sie starr auf die großen, behaarten Hände des Dieners, die die Hemden wieder in das Bündel stopften, und bemerkte kaum, dass er zuletzt ein schmales, mit einer Schnur zugebundenes Lederpäckchen hervorgezogen hatte. Erst als er die Schnur herunterriss, begriff sie, dass er das Päckchen öffnen würde. Gegen ihren Willen vollführte sie eine erschrockene Bewegung, was ihm nicht entging.
    Er runzelte die Stirn und fragte scharf: »Junge, hast du etwa irgendwelche Geheimnisse?« Grob zerrte er das Leder auseinander.
    Nun sah Donata zum ersten Mal, seit sie vor beinahe vier Jahren einen letzten, vergeblichen Versuch unternommen hatte, ihr eigentliches Handwerk auszuüben, ihr Werkzeug vor sich. Jener Versuch hatte ihr endgültig gezeigt, dass ihre Hände ihr beim Malen nicht mehr gehorchten. Dass es die Strafe für ihren Ungehorsam war, fortan ohne ihre Kunst leben zu müssen.
    Auf dem Leder lag der Silberstift, mit dem sich feine, beinahe unsichtbare Linien auf dem Pergament ziehen ließen. Den dickeren Pinsel aus Dachshaar hatte sie für Hintergründe und andere größere Flächen benutzt und die Pinsel aus Marderhaar für kleinere Flächen und Einzelheiten. Mit dem Pinsel, der nur aus ganz wenigen Eichhörnchenhaaren bestand, hatte sie Augen gemalt. Sie hätte das Werkzeug, das sie nicht mehr benutzen konnte, längst verkaufen sollen. Doch das hatte sie nie übers Herz gebracht.
    Der Diener bedachte die Pinsel mit einem gereizten Grunzen. Er hatte das ganze Bündel durchsucht und wischte es vom Sattelbogen. Es fiel in den Schnee. Sein Inhalt ergoss sich über den Boden. Als der Diener dem Pferd die Fersen in die Seiten stieß und es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher