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Die Buchmalerin

Die Buchmalerin

Titel: Die Buchmalerin
Autoren: Beate Sauer
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Sockel war sogar so groß, dass sie gebückt darin knien konnte. Während der Wind an Stärke zunahm, rückte sie die Steine, die sie aus der Altarwand genommen hatte, wieder an ihren Platz und füllte den restlichen Zwischenraum mit den anderen Brocken.
    Als Donata das Schlupfloch geschlossen hatte, war es im Innern des Altars völlig finster und das Heulen des Windes und das Ächzen der Bäume nur noch gedämpft zu hören. Sie streifte ihr nasses Schuhwerk von den Füßen und fasste nach ihrem Bündel. Nach kurzem Suchen fand sie das grob gewebte Kleid. In den Wäldern trug sie es nicht. Dort war es besser für sie, sich als Knabe zu zeigen. Sie wickelte das Kleid um ihre bloßen Füße, legte sich auf das trockene Laub und verteilte einen anderen Teil der Blätter über sich. Dann aß sie einige Bissen von dem Brot, das sie am Morgen in einem Weiler erworben hatte.
    Eine kurze Zeit lauschte sie noch auf den heulenden Wind, ehe sie vor Erschöpfung einschlief und ihr das Brot aus der Hand fiel.

    *

    Der Dämon … Sie musste dem Dämon entkommen … Donata rannte durch einen Raum von gewaltigen Ausmaßen. Dämmerlicht lag über seinem Boden. Dunkelheit verhüllte die Decke. Der modrige Dunst von feuchtem, kaltem Stein füllte die Luft. Sie hatte den Dämon nicht gesehen, sondern nur das Geräusch seiner Schwingen gehört. Von allen Ausgeburten der Hölle, die sie verfolgten, waren zwei besonders schrecklich. Ein katzengleicher Dämon, dessen Rede voller Gift war, und der, der sie jetzt bedrohte. Ihn fürchtete sie am meisten. Das Maul dieses Dämons war breit und mit scharfen Zähnen bestückt und seine Nase aufgeworfen. Mächtige Flügel spannten sich über seinen fischartigen Leib und Krallen bewehrten seine Klauen. Wenn es ihm gelang, sie zu packen und sich ihrer Seele zu bemächtigen, würde sie sterben.
    Keuchend hastete Donata weiter. Der Boden unter ihren Füßen war uneben und glitschig. Sie durfte nicht stürzen. Der Dämon war näher gekommen. Er redete zu ihr, gebrauchte die Sprache der Priester und Gelehrten. Die Färbung eines südlichen Landes schwang in ihr mit. Die Stimme selbst war füllig und tief, hatte jedoch einen schneidenden Unterton. Wie schwerer Samt, in dem ein Messer verborgen war. Die Stimme ließ sie schaudern. Sie stolperte, fiel …
    Als Donata erwachte, hatte sie den Rücken gegen das Mauerwerk des Altarsockels gepresst und ihre Hände waren in das trockene Laub gekrallt, das den Boden des Hohlraums bedeckte. Einige Augenblicke lag sie schwer atmend da, während der Schlaf allmählich von ihr abfiel und der Albtraum verblasste. Nun erst wagte sie es, ihre Arme auszustrecken und nach ihrem Bündel zu tasten. Sie wollte es an sich ziehen und sich an ihm festhalten. So, wie sie es immer tat, wenn sie aus bösen Träumen erwachte.
    Ihre Finger berührten eben das Bündel, als wieder, ganz in ihrer Nähe, die samtweiche Stimme des Dämons zu ihr sprach. Entsetzen erfüllte sie. Doch nun erklang eine zweite Stimme, die spröde wie trockenes Stroh war. Es war die eines Menschen. Als Donata die Lider aufschlug, die sie bis jetzt fest geschlossen gehalten hatte, bemerkte sie einen Lichtstreifen. Er drang durch einen breiten Riss zwischen den Steinen. Während sie nach ihrem Messer suchte, hob sie zitternd den Kopf und schob ihr Gesicht an den Spalt.
    Als sich ihre Augen an die schwache Helligkeit gewöhnt hatten, sah sie, dass das Licht von einer Fackel herrührte. Vier Männer hielten sich im vorderen Teil der Ruine, nahe der Tür, auf. Einer davon, ein großer, muskulöser und beinahe kahlköpfiger Mann, hielt die Fackel in den Händen. Ein anderer hatte ein schmales, bärtiges Gesicht und war höfisch gekleidet. Einer war ein Mönch, der die Kutte der Dominikaner trug. Die Augen in seinem ausgezehrten Gesicht – dies konnte Donata trotz des unruhigen Fackelscheins erkennen – blickten brennend, als würde er von einem inneren Feuer aufgezehrt.
    Doch obwohl die Gegenwart des Mönchs Donata sonst entsetzt hätte, bannte sie der Anblick des vierten Mannes. Dieser stand dem Mönch gegenüber und musterte ihn mit einem leichten Lächeln. Sein pelzbesetzter Mantel aus dunkelrotem Samt entsprach seinem herrischen Antlitz. Ein kantiges Gesicht mit einem breiten, sinnlichen Mund, einer scharf gekrümmten Nase und dunklen, verhangenen Augen. Ein Gesicht, das sie an das einer Statue erinnerte, die sie vor langer Zeit einmal zwischen Dornen und verdorrtem Laub gefunden hatte. Ein steinernes
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