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Tenebra 1 - Dunkler Winter

Tenebra 1 - Dunkler Winter

Titel: Tenebra 1 - Dunkler Winter
Autoren: Dave Luckett
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  KAPITEL I
    Ich saß auf einem Hocker im Zollhaus an der Brücke über dem Wydem in Tenabra, ohne den Fluss eines Blickes zu würdigen. Es bestand keine Notwendigkeit, ihn anzuschauen; ich konnte ihn riechen, dort, wo ich saß. Jeder, der den Ausfluss einer Kloake beobachten öchte, die zwanzigtausend Menschen dient, hat meiner Ansicht nach einen absonderlichen Geschmack. Stattdessen saß ich an die Wand zurückgelehnt und zählte.
    Dass ich im Zollhaus saß, brachte mir zwei tenabrische Kronen in der Woche ein, ausbezahlt in untergewichtigem Geld und mit einem oder zwei Monaten Verspätung. Zwar hätte ich auch draußen unterwegs sein und mich wie die anderen Bürger der Gefahr des Taschendiebstahls aussetzen können, aber die Bewachung des Zollhauses war Fähnrich Silvus Castros Vorstellung eines geeigneten Dienstes für einen Mann, der so unachtsam gewesen war, sich in einer Gasse von einem Raufbold verletzen zu lassen. Es nützte nichts, dass ich sagte, ich hätte gedacht, der Raufbold sei ein besserer Herr, weil er so stark betrunken gewesen war. Silvus bemerkte dazu einfach, ich sei lange genug im Geschäft, um einen echten betrunkenen Simulanten und einen besseren Herrn von einem Raufbold zu unterscheiden.
    So saß ich nun da und hatte das steife Bein vor mir ausgestreckt. Auch beim Verbinden war Silvus nicht allzu zartfühlend gewesen. Aber er hatte die Wunde mit Essig gereinigt, ohne meine Schreie zu beachten, und vielleicht war das der Grund dafür, dass sie verheilte, statt zu vereitern.
    Ich bin ein langsamer Zähler; der Zolleinnehmer war ein schneller. Das musste er sein, denn es ging geschäftig zu. Die Fuhrleute zahlten je nach Gewicht ihrer Ladung meistens mit versilberten Kupfermünzen, aber einige legten ausländisches Geld aufs Zahlbrett, was gewöhnlich zu Streitigkeiten um den Wechselkurs führte. Für Streitigkeiten war ich da. Im Allgemeinen genügte es, wenn ich mit gelangweilter Miene hinter dem Zolleinnehmer aufragte.
    Auch jetzt kam es wieder zu einer Meinungsverschiedenheit. Ich kippte den Hocker vorwärts und stand auf, ohne den stechenden Schmerz in meinem Oberschenkel zu beachten. So lange ich vorsichtig war, konnte ich mich unempfindlich geben. Auf einem Pferd zu sitzen oder einen Waffengang mit Schwert und Schild gegen jemanden zu bestehen, der wusste, was er tat, hätte mir nicht gefallen, aber der Kettenpanzer bedeckte den Verband, und ich konnte heranschlendern, die Daumen hinter das Wehrgehenk gehakt, um zu sehen, was es gab.
    Jeder, der am Schalter des kleinen hölzernen Zollhauses die Schlange der Wartenden aufhält, vergeudet anderer Leute Zeit. Das bedeutet einen großen Druck, der nach schneller Abfertigung verlangt. Der Zolleinnehmer war ein Fachmann in der Beurteilung, wie viel die Leute sich widerspruchslos abknöpfen ließen, ein Meister des zu wenig Herausgebens und ein eben solcher in der Taxierung von Münzen. Aber hier hatte er einen Fehler gemacht.
    Als ich hinter ihm stand, sah ich seinem Problem auf leicher Höhe ins Auge. Mit einsachtzig bin ich größer als die meisten Tenabrer - das ist so, weil ich kein Tenabrer bin. Aber da der Boden des Zollhauses eine Stufe über der Straßenebene liegt, musste das Problem um einiges größer sein als ich. Die klaren katzengrünen Augen schienen unbeeindruckt vom Nachdrängen und Murren der Wartenden, und obwohl Helm und Rüstung so sauber waren, dass sie schimmerten, und der Griff des Langschwertes, der über der linken Schulter zu sehen war, ziemlich neu aussah, wusste ich sofort, dass ihre Eigentümerin damit umzugehen wusste. Von der Wurfaxt in ihrer Gürtelschlaufe nicht zu reden.
    Woher ich das wusste? Nun, da gab es verschiedene Merkmale. Diesen Gürtel zum Beispiel, der festgezogen war, um die Schultern vom Gewicht des Kettenpanzers zu entlasten und einen Teil davon auf die Hüften zu übertragen. Den Kettenpanzer selbst, der nicht aus lockerem, feinem und modischem Geflecht war. Man sah es an der Haltung der Schultern, die das Gewicht des Panzers gewohnt waren, an den schweren Stiefeln und an der Unterarmröhre links als Verstärkung, um Hiebverletzungen zu verhindern. An den dort sichtbaren Spuren herausgehämmerter Kerben. Und an den Händen - die Handschuhe steckten im Gürtel -, deren Innenflächen hart und schwielig waren, wie ich es oft gesehen hatte, aber mit einem dünnen silbernen Ring am linken Ringfinger. Und nicht zuletzt an den Augen, die ihren Blick sofort vom Zolleinnehmer auf mich richteten und
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