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Die Bruderschaft des Schmerzes

Die Bruderschaft des Schmerzes

Titel: Die Bruderschaft des Schmerzes
Autoren: Norman Spinrad
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waren gerötet, auf den Wangen trug sie Streifen von getrockneten Tränen, das lange rote Haar war strähnig und verfilzt. Ihre Lippen formten sprachlose Wörter.
    „Weißt du, was ich tun muß?“ fragte er schließlich.
    Sie stand unbeweglich da und sah zu ihm auf, ihr Gesicht war eine versteinerte Maske.
    „Ich muß zurückkehren“, sagte er, „zurück zur Sonne, zum Gürtel, zurück zur Erde. Was … was gibt es sonst? Ich kann mir keinen neuen Planeten suchen und ein neues … ein neues Sangre entfesseln.
    Der Herr weiß, was sie mit mir anstellen werden. Ich nehme an, ich bin ein Kriegsverbrecher oder etwas Ähnliches.“
    Er lachte, es war ein bitterer, klagender Laut.
    „Was soll’s? Was macht das schon aus? Ich bin sowieso fertig, verbraucht, erledigt. Ich bin nie der gewesen, für den ich mich immer gehalten habe. Das ist alles … das ist alles zu groß für mich, zu groß für jedermann. Ich fühle mich wie ein Käfer, wie ein Käfer, der seinen feuchten Stein immer für das Universum gehalten hat, bis jemand vorbeikam und den Stein umgeworfen hat …“
    „Bart …“ murmelte sie und legte ihm die Hand auf die Wange. Er riß den Kopf zur Seite.
    „Wie kannst du es ertragen, mich zu berühren?“ schrie er. „Sieh mich doch an! Vergiß nicht, was ich getan habe. Ich werde dich auf dem Mars absetzen, da habe ich noch ein paar gute Verbindungen. Da bist du sicher, niemand wird hinter dir her sein. Das bin ich dir schuldig. Du bist in Sicherheit, und wenn du dich eines Tages an all das hier erinnerst, wird es dir wie ein böser Traum erscheinen. Du wirst nicht mehr glauben können, daß es tatsächlich geschehen ist. Ich kann es schon jetzt kaum mehr glauben. Du wirst mich ganz und gar vergessen. Vielleicht vergißt du sogar, wie sehr du mich jetzt haßt.“
    „Dich ha … hassen?“ stammelte sie. Ein Hauch des alten Feuers glomm in ihren Augen auf. „Dich hassen?“ schrie sie laut. „Du unerträglicher Dummkopf, du blöder, egozentrischer Schweinekerl. Hat dich noch nie jemand in den Arsch getreten? Glaubst du denn, daß das Leben nur aus Erfolgen besteht? Natürlich ist das Leben voller Übel, Schrecken und Schmutz! Natürlich tun wir alle Dinge, die wir nicht ertragen können, Dinge, die wir auskotzen wollen, sooft sie uns einfallen. Natürlich sind wir schleimige kleine Würmer, die in einem Kehrichthaufen herumkriechen. Das alles wußte ich schon, als ich noch nicht einmal sechzehn Jahre alt war. Willkommen im Klub, willkommen in der Wirklichkeit! Hast du irgendeinen Grund zu heulen wie ein kleiner junger Hund, den man getreten hat? Vielleicht hast du einen … Willst du dich denn wirklich unterkriegen lassen von all dem Stumpfsinn, dem Schrecken und der nackten Banalität des Lebens? Das ist nicht der Bart Fraden, mit dem ich geschlafen habe! Der Bart Fraden, den ich kannte, hätte den Mumm gehabt zurückzuschlagen! Mein Bart hätte das alles zu einem prächtigen Klumpen zusammengerollt und ihn dem Schicksal in den Schlund gestoßen!“
    Sie war der Fleisch gewordene Zorn. Ihre Augen waren blutunterlaufen, das Gesicht war von Dreck und getrockenten Tränen verschmiert; sie fletschte die Zähne wie ein Raubtier. Noch nie in seinem Leben hatte er etwas so Schönes gesehen.
    „Soph …“
    Sie warf sich ihm an die Brust, preßte ihr Gesicht gegen seinen Hals. „So leicht wirst du mich nicht los“, sagte sie. Ihre Stimme war die stammelnde, zitternde Parodie zynischer Härte. „Du hast mich in dich verliebt gemacht, du Saukerl, und jetzt hängen wir aneinander, ob dir das nun gefällt oder nicht … Wohin du gehst … mein ehrwürdiger Führer!“
    „Soph …“
    Arm in Arm gingen sie zum Beiboot.
    Eine Stunde später saßen sie Seite an Seite im Sternenschiff. Im Cockpit beobachteten sie, wie die Lichter auf dem Kontrollpult des Autopiloten eines nach dem anderen grün aufleuchteten. Der Startcheck war fast abgeschlossen. Auf dem Bildschirm war Sangre zu sehen: eine gefällige Kugel voller friedfertiger brauner, grüner und blauer Farben.
    Bart Fraden starrte auf das Bild und spürte seinen Gefühlen nach. Er fühlte nichts. Etwas in ihm war ausgehakt. Vielleicht, so sagte er sich müde, vielleicht war da irgendwo etwas, das wissend lachte und sich etwas anderem zuwandte.
    Er schaute Sophia an, sah die fremdartige, neue Milde in ihrem Blick, und er wußte: Was immer er auch verloren haben mochte, er hatte etwas gewonnen. Eigentlich war das Leben doch lebenswert. Und wenn es das nicht
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