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Die Bruderschaft des Schmerzes

Die Bruderschaft des Schmerzes

Titel: Die Bruderschaft des Schmerzes
Autoren: Norman Spinrad
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Bestien. Dieser Mann, der echt gewesen war, ein echter Freund, ein echter Feind …
    Fraden krallte sich die Fingernägel ins Fleisch. Er wollte etwas spüren, irgend etwas, Haß, Schuld, Ekel, sogar Schmerz. Aber er fühlte nichts. Er wußte, daß alles, was geschehen war und noch geschah, Wirklichkeit war, aber er konnte es nicht fühlen. Der Schrecken war zu gewaltig, um ihn zu erfassen, zu abgrundtief, um ihn zu fühlen. Seine Tragkraft für Schuldgefühle, Haß und Ekel war erschöpft, überlastet. Es ist nicht wahr, schrie es in seinem Kopf. Das kann nicht wahr sein.
    Aber es war doch wahr. Wahr! Wahr! Wahr! Der zerschlagene, sterbende Willem, das war die Wirklichkeit! Sangre, das Universum, das war die Wirklichkeit. Es war die Wirklichkeit, und sie war ein unendlich tiefes, schwarzes Loch, aus dem Dinge quollen, vor denen sich seine Seele in endloser Finsternis jammernd wand.
    Das Herz des Universums! Der Kopf, der alles lenkt! Das war die Lüge, mit der er gelebt hatte. Diese Lüge hatte es ihm ermöglicht, stark, furchtlos und stolz zu sein. Aber die Existenz hatte kein Zentrum, und kein Mensch würde sie je lenken oder verstehen können. Die Existenz war ein Abgrund unendlicher Möglichkeiten, unendlichen Schreckens, und der Mensch war darin nur ein grausamer, übler Scherz des Schicksals, ein Blatt, das von ungeheuren, wilden Kräften umhergewirbelt wurde. Und all das war wirklich – einzig der Bart Fraden, den er sein ganzes Leben lang gekannt hatte, war unwirklich, eine Lüge, eine Null, ein aufgeblähtes, machtloses Nichts! Fraden war vertrocknet, ausgelaugt, überwältigt, machtlos, unfähig sogar zum …
    Als willenlose Kreatur sah er zu Sophia hinab. Jetzt erst stellte er fest, daß Sophia auf den Knien lag und sich an ihm festklammerte. Tränen rannen ihr Gesicht herab, ihr Körper erzitterte schluchzend.
    „Bart, Bart, Bart“, schluchzte sie. „Bring mich fort von hier! Bitte, bitte, bitte, bring mich von hier fort!“
    Sein Herz antwortete ihr. Ein armes Nichts rief vergebens zu einem leeren schwarzen Abgrund, der nichts fühlte, nichts darauf gab, ob sie lebten oder tot waren. Doch tief in seinem Innern glühte noch etwas Asche. Sie durfte nicht hier sterben und nicht so! Alles war absurd, die Tat und die Untätigkeit, aber er wollte seine Art der Absurdität selbst wählen. Das konnte ihm niemand verwehren.
    Er riß sie zu sich hoch, aus schmalen Augenschlitzen sah er sich im Stadion um wie ein in die Enge getriebenes Tier. Der Rundbau leerte sich jetzt schnell durch die große Wunde in seiner Seite, aber die Arena war immer noch ein Mahlstrom des Schreckens. Er sah zu den Rängen über seinem Kopf hinauf. Sie waren zertrümmert und verlassen. Ein versprengter Haufen von etwa zwei Dutzend Tötern, denen die Kleider in Fetzen herunterhingen, hatte sich bei einem Ausgang zusammengekauert. Ihre Augen waren von Furcht geweitet, sie schauten unschlüssig. Ihre Herren hatten sie verlassen. Armselige, verlorene Kreaturen … Tu etwas, befahl er sich. Du hast genug nachgedacht, unternimm endlich etwas!
    Er tauchte unter die Bank, fand das papierumhüllte Bündel, zerriß die Packung und warf sich den schwarzen Bruder-Umhang über die Schultern.
    Sophia mit sich reißend, stürmte er den Gang hinauf, stellte sich vor die Töter.
    „Ihr da!“ donnerte er. „Bildet einen Kreis um uns! Sofort! Im Namen der Bruderschaft fordere ich euch auf, mir zu gehorchen! Also los, bewegt euch!“
    Die Töter starrten den wild blickenden, brüllenden Dämon einen Augenblick lang reglos an. Ein Bruder! Befehle! Gnädige Befehle! Die Töter formierten sich zu einem lockeren Kreis um sie, die Gewehrläufe hielten sie nach draußen gerichtet.
    Durch die Kellergewölbe des zerstörten, brennenden Stadions und durch raucherfüllte Gänge rannten sie. Alles war leer, verlassen und tot. Im Kreis der parkenden Lastwagen zwischen dem Stadion und dem Palastgebäude kamen sie wieder an das Sonnenlicht. Auch der Palast brannte, hellrote, züngelnde Flammen erhoben sich zum Himmel; die Hitze versenkte Fradens Haut.
    Fraden stieß Sophia vor sich her. Er warf sie in die Fahrerkabine eines Lastwagens und stieg über das Rad hinter ihr her.
    Er drehte den Zündschlüssel um und trat aufs Gaspedal. Die Maschine stotterte, dann kam sie in Gang. Er riß sich die Bruderkutte wie ein unreines Tuch vom Leib und warf sie den verdutzten Tötern vor die Füße. Dann trat er das Gaspedal durch, und der Lastwagen schoß in einer Wolke von
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