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Die Bruderschaft des Schmerzes

Die Bruderschaft des Schmerzes

Titel: Die Bruderschaft des Schmerzes
Autoren: Norman Spinrad
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seine Lungen zum Bersten, spürte, wie in seinem Rachen Kapillargefäße platzten. Seine Stimme schnitt wie ein Messer in die atemlose Stille:
    „F REIHEIT ! F REIHEIT ! DIE B RUDERSCHAFT IST TOT ! LANG LEBE DIE FREIE R EPUBLIK ! GEHT ZURÜCK ZU …“
    Dann schien alles gleichzeitig zu geschehen.
    Vanderling fuhr auf und sprang nach hinten.
    Er griff nach Fradens Gewehr und wirbelte herum.
    Sein Gesicht war eine dunkelrote Fratze des Hasses und der Wut.
    Vanderlings Finger ließen plötzlich das Gewehr fahren, das Fraden immer noch umklammert hielt. Er schrie auf, krümmte sich und stolperte nach vorn.
    Fraden erkannte, daß Sophia ihm das Knie in den Unterleib gerammt hatte.
    Wie eine Explosion schallten ungezählte Warnrufe aus dem Stadion, doch Fraden hatte bereits seine Überraschung überwunden. Sein Gewehrkolben traf Vanderling am Kiefer.
    Vanderling torkelte zurück, und Fraden trat ihm mit aller Kraft in den Rücken. Der Schwung riß Vanderling nach vorn, und er rollte mit rasender Fahrt die Ränge herab, rutschte durch die Überreste des Zauns in die Arena und verschwand in einem Mahlstrom wirbelnder Körper, Arme, Beine, Speere, Fackeln und Knüppeln.
    All das hatte sich in wenigen Augenblicken zugetragen: Fradens Geste in Richtung Pavillon, das Schweigen, Vanderlings Angriff, Sophias Tritt, die Schreie der Sadianer und Vanderlings Sturz in die Menge. Es waren Augenblicke, in denen Neutronen einen instabilen Atomkern von allen Richtungen aus gleichzeitig bombardierten, und im nächsten Augenblick explodierte diese unstabile Masse mit urtümlicher, rasender Wucht.
    Freiheit! Die Bruderschaft war dahin! Freiheit! Die Erkenntnis fegte durch die dichtgedrängte Menge im Stadion wie eine Feuersbrunst. Sie entfachte jeden Blutstropfen in jedem dieser geschundenen Körper. Freiheit! Freiheit von einer dreihundertjährigen Tyrannei, die so bedrückend war, daß sie sogar ihre Gene verändert hatte. Freiheit!
    Aber dies war Sangre, der Planet der Gegensätze. Schwarz und Weiß hatten sich tief in die Seelen der Menschen eingegraben. Sie hatten nur einen Despotismus gekannt, der den Gott des Vergnügens anbetete und nur dem Dämon des Schmerzens Opfer darbrachte.
    Einen Mittelweg gab es nicht. Wer ein Sklave war, war ein Tier. Wer ein Bruder war, war frei. Nicht Freiheit von …, sondern Freiheit zu … Freiheit zu morden, zu foltern, Freiheit, Menschenfleisch zu essen und jeder Begierde nachzugeben, die in den tiefsten Abgründen der menschlichen Seele nistete.
    Ein flüchtiger Reiz war Grund genug, einen Berg von Leichen aufzutürmen. Brüder waren … frei!
    Aber die Bruderschaft war tot, für immer verschwunden. Jetzt waren die Tiere von Sangre frei. Alle waren jetzt Brüder im Schmerz.
    Das gesamte Stadion erbebte unter einer bestialischen Orgie der Grausamkeit, des Mordens und des sinnlosen Schreckens. Männer fielen Frauen an, Frauen Männer, Kinder machten sich über ihre Eltern her, die Alten kämpften gegen die Jungen. Mit Messern und Knüppeln, Speeren und Beilen, Zähnen und Fingernägeln fielen die Sadianer übereinander her. Die Stahlbetonkonstruktion des Stadions schwankte und ächzte auf der Fraden gegenüberliegenden Seite, wo sich die Menschenmassen am dichtesten drängten. Dort kochte ein Meer mordgieriger, reißender, stechender, stampfender Bestien.
    Die gegenüberliegende Stadionwand ging in Flammen auf; ihr orangefarbener Flackerschein beleuchtete die Szenen wahnsinniger Raserei. Wie Nachbilder, die sich in die Netzhaut eines geblendeten Auges eingebrannt hatten, verkehrten sich Triebe, Gefühle und Bedürfnisse in ihr Gegenteil. Liebe wurde zu Haß, Schmerz zu Vergnügen, Sex zu Grausamkeit, Mord zu einer Gnade. Aus Leben wurde Tod, und Tod erschien als eine Lebensform, als sich die Verzweiflung dreier Jahrhunderte entlud wie ein riesiges Furunkel, das endlich aufgeschnitten wurde.
    Und aus jeder Kehle, die noch mit einem Paar funktionstüchtiger Lungen verbunden war, drang ein widerwärtiger, spottender Schrei:
    „ BART ! BART ! BART ! BART ! BART ! BART ! BART !“
    Wie betäubt blickte Fraden ins Stadion hinab. Er schien an dem Betonboden festgewachsen zu sein. Links von ihm floh die gedrängte, rasende Menschenmasse vor der gewaltigen Flammenwand. Unzählige Leiber wurden dort gegeneinandergepreßt, unzählige Tonnen rasenden, wogenden Fleisches. Wie eine unaufhaltsame Ramme rückte der Mob gegen die Tribüne vor. Das Stadion krachte, ächzte und stöhnte wie ein gequältes, lebendes
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