Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
3 - Wächter des Zwielichts

3 - Wächter des Zwielichts

Titel: 3 - Wächter des Zwielichts
Autoren: Sergej Lukianenko
Vom Netzwerk:
Prolog
    Irgendwann zwischen Wyssozki und Okudshawa sind in Moskau die echten Höfe verschwunden.
    Seltsam. Selbst nach der Revolution, als man der Küchenfron den Kampf ansagte und zu diesem Zwecke in den Häusern die Küchen abschaffte, tastete man die Höfe nicht an. Zu jedem stolzen Stalinbau, der seine Potjomkin'sche Fassade dem nächstgelegenen Prospekt zuwandte, gehörte unbedingt ein Hof. Ein großer grüner Hof mit kleinen Tischen und Bänken und mit einem Hausmeister, der morgens den Asphalt fegte. Dann brach die Zeit der vierstöckigen Plattenbauten an - und die Höfe schrumpften in sich zusammen, wurden kahl, die einst so gemütlichen Hausmeister wechselten das Geschlecht und verwandelten sich in Hauswartinnen, die es für ihre Pflicht hielten, übermütigen Jungs die Ohren lang zu ziehen und die Mieter zu tadeln, die betrunken nach Hause kamen. Trotzdem gab es noch Höfe.
    Doch dann - als habe jemand aufs Gaspedal gedrückt - schossen die Häuser in die Höhe. Erst neun, dann sechzehn und schließlich vierundzwanzig Etagen. Als werde jedem Haus mehr Raum, aber nicht mehr Fläche zugebilligt. Die Höfe verkümmerten bis auf den Platz direkt vorm Hauseingang, die Türen gingen jetzt direkt auf die Straße hinaus, Hausmeister und Hauswartinnen verschwanden, an ihre Stelle traten die Angestellten der Wohnungsverwaltung.
    Freilich, später kehrten die Höfe zurück. Jedoch - als nähmen sie es krumm, derart vernachlässigt worden zu sein - nicht zu allen Häusern. Die neuen Höfe säumte eine hohe Mauer, in der Pförtnerloge saßen geschniegelte junge Männer, unter englischem Rasen versteckte sich eine Tiefgarage. In diesen Höfen spielten die Kinder unter Aufsicht ihrer Kindermädchen, durch nichts zu erschütternde Bodyguards zogen betrunkene Mieter aus BMW und Mercedes, und die neuen Hausmeister beseitigten mit kleinen deutschen Fahrzeugen den Müll vom englischen Rasen. Das hier war einer jener neuen Höfe.
    Die Hochhaustürme am Ufer der Moskwa kannte ganz Russland. Sie galten als das neue Symbol der Hauptstadt - anstelle des alten Kremls, der seinen Glanz eingebüßt hatte, und des GUM, das nun vom »zentralem zu einem ganz normalen Kaufhaus geworden war. Die Uferstraße aus Granit, eine eigene Anlegestelle, Hauseingänge mit venezianischem Stuck, Cafes und Restaurants, Schönheitssalons und Supermärkte und natürlich Wohnungen mit zwei-, dreihundert Quadratmetern. Wahrscheinlich brauchte das neue Russland ein solches Symbol, ein pompöses und kitschiges Symbol wie eine dieser dicken Goldketten, die all diejenigen um den Hals trugen, die gerade zu Geld gekommen waren. Und es spielte keine Rolle, dass ein Großteil der bereits vor einiger Zeit verkauften Wohnungen leer stand, die Cafes und Restaurants geschlossen waren und auf bessere Zeiten warteten und schmutzige Wellen die Anlegestelle aus Beton umspülten.
    Der Mann, der an diesem warmen Sommerabend die Uferstraße entlangflanierte, hatte noch nie eine Goldkette getragen. Denn er verfügte über gutes Gespür, das ihm guten Geschmack vollauf ersetzte. Rechtzeitig hatte er den Adidas-Trainingsanzug aus China gegen ein himbeerfarbenes Jackett getauscht, um dann als Erster das himbeerfarbene Jackett zugunsten eines Anzugs von Versace wieder abzulegen. Selbst beim Sport war er andern immer eine Naselänge voraus. Einen Monat vor sämtlichen Kremlbeamten warf er den Tennisschläger in die Ecke, um alpinen Skilauf zu betreiben - obgleich er in seinem Alter Bergskiern nur noch dann etwas abgewann, wenn er sich nicht auf ihnen fortbewegte.
    Außerdem zog er es vor, in einer Villa im moskaunahen Datschenviertel Gorki-9 zu leben und die Wohnung mit den Fenstern zum Fluss nur mit einer Geliebten aufzusuchen.
    Von seiner Dauergeliebten wollte er sich übrigens auch trennen. Schließlich würde kein Viagra der Welt sein Alter besiegen, und eheliche Treue kam langsam wieder in Mode.
    Der Chauffeur und der Bodyguard hielten recht großen Abstand zu ihm, damit sie die Stimme ihres Chefs nicht hören konnten. Und selbst wenn der Wind Bruchstücke seiner Worte zu ihnen hinübertrüge - was wäre schon so schlimm daran? Warum sollte ein Mensch nach einem Arbeitstag nicht mit sich selbst reden, wenn er in absoluter Einsamkeit über den plätschernden Wellen stand? Schließlich gibt es keinen verständnisvolleren Gesprächspartner als das eigene Ich.
    »Und trotzdem wiederhole ich meinen Antrag ...«, sagte der Mann. »Noch einmal.«
    Matt leuchteten die Sterne, die den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher