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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle
Autoren: Claudie Gallay
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dass es hier wegen der Berge keine gebe.
    Ich erzählte ihm von Lili.
    Ich sagte ihm, dass es der Mutter gut gehe.
    Er hörte mir zu.
    Und dann überwältigten ihn die Müdigkeit und die Kälte. Die Bank geriet in den Schatten. Ein Erschauern. Er wollte zurückgehen. Unendlich langsam waren seine Schritte. Ich begleitete ihn bis zum Tor.
    Ich sah ihn an.
    Er gehörte zu jenen Menschen, die sterben würden, ohne Spuren zu hinterlassen.
    Ich versprach ihm wiederzukommen, und er sagte: »Ich weiß, dass Sie wiederkommen.«
     
    Kurz darauf begannen die Glocken des Klosters zu läuten, eine nach der anderen, und dann alle zusammen. Hier maß man die Zeit nach Messen und Gebeten. Die ganze Woche strebte dem Sonntag entgegen. Und alle Wochen strebten einigen besonderen Daten entgegen, je nach Jahreszeit war es Weihnachten oder Ostern.
    Und die Leben strebten dem Tod entgegen, der letzten Begegnung.
    Ich dachte an dich.
    Die Glocken hörten auf, aber ihr Echo setzte sich noch lange fort, wie gefangen zwischen den Bergwänden.
    Der Himmel, nackt.
    Die Stille.

     
    Die beiden Brüder kamen zurück. Sie waren lange gelaufen. Ich sah sie herankommen, einer neben dem anderen. Michel war etwas größer. Seine Kutte schleifte im Gras.
    Es war kurz nach sechzehn Uhr, die Zeit der Vespermesse. Michel machte das Tor auf. Zwei Mönche eilten einen Weg entlang, ihre Sandalen knirschten auf dem Kies. Hinter einem Fenster sah ich einen Schatten.
    Michel fragte uns nicht, ob wir wiederkämen. Sicher wusste auch er, dass wir es tun würden.
    Einen Augenblick später hörten wir, wie sich der Schlüssel auf der anderen Seite des Tores im Schloss drehte, ein Rascheln von Stoff, dann war es still.
    Die Stille legte sich wieder über die Einöde, umfing sie mit ihren Geheimnissen und auch mit der Einsamkeit der Menschen, die sie bewohnten.
    Lambert nahm meine Hand. Es war eine breite, warme und vertrauensvolle Hand. Er flüsterte mir etwas unendlich Zärtliches ins Ohr, und wir kehrten zusammen zurück in die Welt der Menschen.

Die französische Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel »Les déferlantes« bei Éditions du Rouergue.
     
     
     
     
    1.Auflage
Copyright © 2008 by Éditions du Rouergue
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010 by
btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
München
    Satz: IBV Satz- und Datentechnik GmbH, Berlin
     
     
    eISBN 978-3-641-08772-2
     
     
    www.btb-verlag.de
    www.randomhouse.de
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