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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle
Autoren: Claudie Gallay
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weg.
    Das war gut so. Ich lernte, auf ihn zu warten.
    Einmal zog er einen Brief aus der Tasche, den er von seinem Bruder erhalten hatte. In diesem Brief sprach Michel lange über Vergebung. Er sagte, Vergebung sei kein Vergessen, man müsse den Weg zurücklegen können, und er zitierte einen Satz von Johannes Paul II.: Der Mensch, der vergibt, versteht, dass es eine Wahrheit gibt, die größer ist als er.
    An diesem Abend erzählte ich ihm von dir. Wir saßen in seinem Auto. Vor uns das Meer.

    In dieser Nacht liebte er mich, danach. Bei ihm. In seinem Zimmer, ein Bett mit weißen Laken. Er liebte mich, wie du es konntest, auf die gleiche absolute Art.
    In der Nacht stand ich auf und lehnte mich an die Dachluke. Der Himmel war voller Sterne. Ich dachte, einer dieser Sterne wärest vielleicht du.
    Ich lauschte den Geräuschen der Nacht. Dem Rascheln, dem leisen Atmen.
    Ich drehte mich um und sah den Mann atmen, der mich eben geliebt hatte.
    Ich setzte mich mit dem Rücken an den Heizkörper. Ich nahm das Heft aus meiner Jackentasche, das ich immer bei mir trug. Ich blätterte es durch, alle Zeichnungen, bis zu den Seiten dahinter, den letzten, den weißen Seiten. Dann fing ich an, unsere Geschichte aufzuschreiben.
     
    Am nächsten Tag sagte Lambert, er werde wieder zu seinem Bruder fahren, und wenn ich wolle, könne ich ihn begleiten. Es war Ende September. Die schönen Tage waren vorbei. Der Wind blies aus Westen, er brachte Feuchtigkeit, Nebelfetzen vom Meer. Schaumflocken, die er von den Wellen riss und bis zu meinem Fenster hinauftrug. Selbst an den Sonnentagen war es kalt.

W ir fuhren sehr früh am Morgen los. Als wir Auderville verließen, regnete es schon. Tropfen klebten an der Scheibe. Wir machten Musik an. Wir sprachen über Michel.
    Kurz nach Caen zeigte ich ihm die Landschaft.
    »Dort hat Françoise Sagan gewohnt«, sagte ich. Er interessierte sich nicht für Sagan, aber ich erzählte ihm trotzdem von ihrem Gutshaus.
    Vor ein paar Jahren war ich mit dir hier gewesen. Wir waren durch den Park gegangen. Die Sagan hatte in einem Sessel gesessen, eingewickelt in eine Decke, obwohl es Sommer war. Sie hatte geschlafen.
    Im folgenden Jahr waren wir wieder zu ihrem Gutshaus gefahren, doch sie war gestorben.
    Lambert hielt nach Dozulé an, und ich fuhr.
    Die Hände am Steuer, dachte ich an Françoise Sagan und an diesen Tag. Gedanken ohne Traurigkeit.
    Um zehn Uhr gewann das Licht, aber der Himmel blieb grau. Wir hielten an einem Ort an der Autobahn, der Fleury-en-Bière hieß. Wir tranken einen Kaffee, dann fuhr Lambert wieder.
    Das Auto wiegte mich. Seine Stimme. Er erzählte mir von seinem Bruder, von dem Frieden, den er verspürte, seit er ihn wiedergefunden hatte.

    Kurz nach Bessey-en-Chaume machten wir Mittagspause. Dann übernahm ich das Steuer.
    Irgendwann zeigte mir Lambert in der Ferne Wälder. Er sagte, dort sei der Morvan, hinter dieser Wand aus Bäumen.
    Ich schlief ein. Als ich die Augen aufmachte, sah ich die Berge. Wir waren kurz vor Grenoble.
    Während ich schlief, hatte mich Lambert mit seiner Jacke zugedeckt. Meine Wärme hatte sich darunter gestaut. Ich sah ihn an. Er lächelte.
    Wir verließen die Autobahn.
    Wir tranken eine Schokolade, in einer Stadt am Fuß der Berge, ehe die Schluchten begannen. Lambert erklärte mir, dass die Mönche früher zu Fuß von dort aufgebrochen waren, um allein zu ihrem Rückzugsort zu gelangen.
    Wir sprachen von Michel, der sehr viel weiter gegangen war. Wir beobachteten einen Bach, der zwischen den Häusern floss.
    Später fuhren wir eine sehr enge Straße am Berghang entlang. Rechts davon waren Schluchten, an deren Grund ein Fluss strömte. Wir fuhren durch Tunnel, die in den Fels gebohrt waren. Wasserfälle. Wasser sickerte überall heraus, auf der Straße und auch am Hang. Lambert erzählte mir, dass diese Straße Wüstenstraße heiße. Dass man dort Luchse sehen könne.
    Wir trafen niemanden.
    Als wir in Saint-Pierre ankamen, war es fast dunkel.
    Lambert hatte in einem Hotel im Dorf, dem Hôtel du Nord, zwei Zimmer reserviert.
    Er hatte die 4, ich die 16, sie waren nicht auf derselben Etage. Wir aßen in einem kleinen Restaurant eine Spezialität, die uns die Kellnerin empfohlen hatte. Dazu tranken wir eine Flasche guten Wein. Er erzählte mir von den erbärmlichen Ermittlungen, die er hatte führen müssen, als er in Dijon gelebt hatte.
Schmutzige Geschichten. Ich sagte, dass ich schmutzige Geschichten mochte, darüber musste er lachen.
    Er erzählte mir
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