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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle
Autoren: Claudie Gallay
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schlagen.
    »Ich habe die Delphine nicht gesehen«, stammelte ich.
    Morganes Stimme mischte sich mit dem Rauschen meines Blutes, sie fragte, ob der Leuchtturm an sei. Er war es nicht.
    Er legte die Hand auf meinen Bauch. Seine Hand, ganz flach. Und dann auf mein Gesicht. Mein Kopf darin. Meine Lippen an seiner Handfläche, mein ganzer Mund.
    Ich atmete in diese Hand.
    Die Handfläche, die Lippen an der trockenen Haut. Bis zum Ersticken. Ohne ein Wort. Der Nacken an seiner Schulter.
    Ich wartete, dass sich mein Herz beruhigte. Ich brauchte Zeit,
und dann gab es diesen unendlich zärtlichen Moment, in dem ich mich wieder bewegen und meine Hand auf seinen Arm legen konnte, und diesen anderen Moment, da ich mich umdrehen und ihn ansehen konnte. Dieser Mann, der mich umarmte, warst nicht du, und dennoch verspürte ich Frieden. Ich schmiegte meinen Kopf an ihn. Vergrub das Gesicht. Die Lippen am Pullover. Diese Wärme unter der Wolle. Meine Hand bewegte sich, sie fand den Weg wieder, jenen Ort, den sie bei dir so gern hatte, zwischen Jacke und Pullover, sie fand ihren Platz und ließ sich dort nieder.
    »Sie sind zurückgekommen.«
    Er umarmte mich noch fester, und ich konnte endlich die Augen schließen.

E s war dunkel. Das Meer stieg und brandete gegen den Leuchtturm, schwere, kurze Wellen. Es sah nach Gewitter aus. Die Luft war elektrisiert.
    Ich betrachtete mein Gesicht im Spiegel. Die Wunde von dem Blech war verschwunden, trotzdem zeichnete sich das Mal noch ab, wenn ich aus der Kälte kam, ein dünner Strich, der verschwand, sobald sich meine Haut erwärmte.
    Eine flüchtige Spur.
    Ein roter Schatten.
    Eine Erinnerung.
    Lambert schlief.
    Ich sah ihn an.
    Und dann verließ ich ihn.
    Den Rest der Nacht verbrachte ich auf dem Sofa in Raphaëls Atelier. Eine Nacht voll undeutlicher Träume, es kam mir vor, als würde ich nach dir rufen. Ich nahm mir eine Decke. Sie hatte auf dem Boden gelegen. Sie roch nach Staub, nach Gips.
    Dort fand mich Raphaël am Morgen. Er stellte mir keine Fragen. Er machte Kaffee und sagte nur, dass es nach Regen aussehe und dass ich mich nicht mit einer so schmutzigen Decke hätte zudecken sollen.
    Ich lief über den Strand. Eine Seemöwe saß ganz oben auf
einem Dach und starrte aufs Meer. Als sie mich sah, stieß sie einen lauten Schrei aus, schwang sich mit ausgebreiteten Flügeln in die Luft und flog haarscharf übers Wasser, ganz dicht an mir vorbei. Die Kühe drängten sich am Zaun zusammen, sie hatten die Nacht hier verbracht, sie käuten wieder, die Köpfe zum Dorf gewandt. Dort oben erwachten die Menschen. Die ersten Lichter.
    Ich lief bis zum Kreuz. Ein Büschel kleiner Flockenblumen wuchs vor dem Sockel. Sie blühten hier manchmal sogar im Winter.
    Es fing an zu regnen. Ein paar Tropfen. Ich sah zum Himmel. Der Regen am Ende des Sommers fällt nie so wie der Herbstregen. Er ist heftiger, verwüstet den Meeressaum, zerstört die Böschung mit der Kraft der Eifersucht.
    Die Alten sagten, in diesem Winter würde viel Schnee fallen.
    Als ich zur Griffue zurückkam, sah ich, dass in meinem Zimmer Licht brannte.
    Ich hob einen Stein auf, einen kleinen Kiesel aus schwarzem Granit. An der Seite war ein hellerer Kratzer, ein Abdruck in Form eines Sterns. Langsam schloss ich die Finger darum und steckte ihn in die Tasche.

L ambert blieb eine Woche, dann fuhr er wieder weg. Er kam zehn Tage später zurück. Und fuhr wieder weg.
    Jede Reise führte zu Michel. Wenn er wiederkam, erzählte er mir von ihm. Von ihren Begegnungen, nur ein paar Stunden am Tag. Er wäre gern länger dort geblieben, aber die Klosterregeln erlaubten es nicht. Bei seinem letzten Besuch hatte er die Klausur betreten dürfen, jenen innersten Bereich, der den Mönchen vorbehalten war. Ein kurzes Gespräch in einer Zelle ohne Fenster. Sie hatten Wasser getrunken. Ein paar Kekse gegessen.
    Sie hatten geredet.
    Diese Besuche, auch wenn sie kurz waren, machten ihn glücklich.

I ch wusste jetzt, dass ich andere Hände lieben, einen anderen Körper begehren konnte; mit ihm entdeckte ich sie wieder, die Lust, aber ich wusste auch, dass ich nicht mehr lieben konnte wie vorher.
    Die Nächte teilen.
    Das hatte mir dein Tod geraubt.
    Hatte Lambert es verstanden?
    Er sah mich an, wenn ich ihn verließ, aber er versuchte nicht, mich zurückzuhalten.
    Mehrmals erzählte er mir von dem Haus, das er im Morvan hatte, eine alte Mühle an einem Bach. Er sagte nichts weiter, nur dass er mir diesen Ort gern zeigen würde.
    Oft fuhr er
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