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Die Betrogenen

Die Betrogenen

Titel: Die Betrogenen
Autoren: Michael Maar
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Viertel davon habe Taug.
    Bittner war nicht blaß geworden, aber daß hier gerade das Arkanum besudelt wurde, war nicht zu übersehen. Karl dachte an die zwei Stimmen der Englischen Suite, die Bittner ihm im Stadtpark vorgepfiffen hatte. Das Schönste der Musik, der Kunst überhaupt liege darin. Die eine Stimme, die reifere, hatte der täppischen tröstlich übers Haar gestrichen.
    Wie würde seine Replik ausfallen, schneidend und blitzend wie die Messerchen der Samurai?
    Aber bevor Bittner antworten konnte, zog Manteuffel es vor, sich aus dem Staub zu machen. Ohne ihn anders als mit dem Kopfnicken zu verabschieden, mit dem er ihn begrüßt hatte, drehte er sich um und ließ den Chopin-Verächter mit Karl und Cornelius zurück, der seinen Rücken noch etwas steifer hielt als sonst.
Milch und Honig
    In dieser Nacht hatte Karls Kärtchen versagt. Die Pupille seiner Zimmertür hatte ihn unverwandt rot angestarrt; auch durch wiederholtes Hineinschieben wechselte sie nicht auf grün. Einen Moment lang stand er unentschlossen vor der Tür. Es war nicht zu ändern, er mußte mit dem Aufzug vier Stockwerke nach unten zur Rezeption fahren, wo ihm eine schläfrige Empfangsdame die Karte aufladen oder durch eine neue ersetzen würde. Er verwahrte das Kärtchen wieder in seiner Westentasche, als ihm plötzlich ein Entschluß kam.
    Er würde etwas ganz anderes tun. Den Grund dafür hätte er nicht angeben können, weder erregt pochenden Herzens davor noch erschöpft pochenden Herzens danach. Karl klopfte drei Zimmer weiter, wo Senta Wiedenkopf einlogiert war.
    Wieviel dunkler der Abend begonnen hatte! Als Karl zwei Stunden zuvor die Hotelbar betrat, saß Bittner allein auf dem Ledersofa, auf dem er am Vorabend mit Seyfried in ernsten Gesprächen unterbrochen worden war. Er schwieg, als Karl sich zu ihm setzte, und schien in Gedanken; in wie aufgewühlten, hätte Karl trotz des Manteuffel-Streits nicht geahnt.
    Was er Karl schließlich zu eröffnen hatte, war mehr als bedrückend, wenn auch nach seinem
Brutus
-Brief nicht völlig überraschend. Bittner räusperte sich, drehte das Whiskyglas in der Hand und schaute Karl in die Augen. Die Sache war die: Er hatte den Glauben an sein Werk verloren. Nichts würde von ihm übrigbleiben, die
Masken des Todes
würden schon in wenigen Jahren im Modernen Antiquariat verramscht, die signierten Exemplare für ein paar Mark mehr. Obwohl er äußerlich oft Fortune gehabt habe, sei der innere Zweifel in ihm beständig gewachsen. Jetzt fülle dieser Zweifel ihn vollständig aus.
    Karl hätte nichts sagen können, was unter dem Gewicht dieses Geständnisses nicht sofort zerplatzt wäre. Als er versuchte zu protestieren, hob Bittner nur die Hand. Sein Ausdruck zeigte das Leidende, das Karl immer wieder bei ihm gespürt und nach dem zu fragen ihm immer der Mut gefehlt hatte.
    Dieser Zweifel, fuhr Bittner nach einer Pause fort, sei ansteckend und infiziere alles, selbst seinen Glauben an die Kunst. Als gehe es nur um seine dürftige Privatperson! Karl hatte ganz recht gehabt, sich nicht auf biographische Irrwege locken zu lassen.
    Karl spürte, wie er rot anlief. Also doch! War Bittner ihm eben doch gram deshalb, wie sollte es auch anders sein.
    Wen kümmere es auch, wenn er gescheitert sei – ob ehrenvolloder nicht, mochte die Nachwelt entscheiden. Aber wie stand es, wenn er einmal den lügenreichen Malraux bemühen dürfe, überhaupt mit der Condition Humaine? Sein junger Freund hatte früher einmal die chinesischen Kommunisten erwähnt, die im Kohlenkessel der Lokomotive lebendig verbrannt wurden. Das war in diesem Jahrhundert, dem furchtbarsten. Aber das Fürchterliche war ja der Grundbaß aller Zeiten und aller Kultur. Ob Karl wußte, daß im alten China die Folter als eigene Kunstform galt, so wie der Tanz oder die Kalligraphie?
    Bittner schaute ihn durchdringend an, als erwarte er eine Antwort von ihm. Karl kratzte sich am linken Oberschenkel.
    Da seien die zwei Sphären zusammengetreten, auf ebenso scheußliche wie verräterische Art. Die Kunst und die viehische Grausamkeit, die durften sich nicht berühren. Aber sie war ja eben nicht viehisch, sondern ausschließlich menschlich, es gab keine andere Spezies, die folterte, so wie es keine andere gab, die das Wohltemperierte Klavier hervorbrachte – mochte sein preisgekrönter Freund noch so viel Unfug verbreiten. Wenn aber Bach in der einen Waagschale läge, was lag dann in der anderen?
    Bittner griff in die Innentasche seines sandfarbenen
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