Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Betrogenen

Die Betrogenen

Titel: Die Betrogenen
Autoren: Michael Maar
Vom Netzwerk:
verblüffender Offenheit. Mit Nervengift oder ohne, das Schreiben falle ihm immer schwerer, je länger er es betreibe; oft sitze er halbe Tage an einem Satz. Nichts wünschte er sich sehnlicher, als einfach nur lesen zu können, ohne den Stift in der Hand; die Bücher auf seinem Nachttisch stapelten sich zu einem kleinen Turm. Bei seiner Rente von 628Mark war ihm das aber nicht vergönnt. Sein Herzinfarkt hatte auch damit zu tun, daß er zuviel annehme und sich überlaste. Selbst seine neue Agentin, die kein Interesse daran haben konnte, hatte ihn gemahnt, es langsamer anzugehen. Aber er sei es leid, nach Ost und West sparen zu müssen.
    Wieso, presse ihn die Agentin zu weiteren Großtaten?, fragte Manteuffel. Er selbst sei ja jetzt bei der Wiedenkopf gelandet.
    Hier schaltete sich Cornelius ein, dem Karl in der Philharmonie offenbar einen Floh ins Ohr gesetzt hatte. Was halte Manteuffel denn so von ihr? Als Marketenderin war sie ja wohl famos? Ein Kellner kam mit einem Tablett Sektgläsern vorbei, in deren Schaumperlen sich das Licht des Kronleuchters brach. Das Stimmengewirr in dem hohen Saal zwang ihr Grüppchen, eng beisammenzustehen; vor allem Bittner hätte sonst nichts verstanden, er war, wie Karl bemerkt hatte, leicht schwerhörig geworden.
    Die Wiedenkopf? Manteuffel antwortete, ohne Cornelius dabei anzusehen: die Lady sei eine Krampfhenne.
    Im selben Moment erschien in der offenen Flügeltür des Empfangssaals über einem dunkelroten, chinesisch anmutenden Seidenkostüm ein kunstvoll gebauschter Löwenkopf. Als hätte sie nur auf ihr Stichwort gewartet oder einen sechsten Sinn dafür, wo sich etwas gegen sie zusammenbraute. Karl dankte der schlechten Akustik imSaal. Lupa in fabula, murmelte Cornelius und straffte sich.
    Bittner begrüßte die Wiedenkopf mit einem Handkuß, den sie graziös entgegennahm, und winkte nach dem Kellner, daß er der Dame einen Sekt reiche. Die Wiedenkopf nippte unterdessen von seinem Glas und lachte ihr gurrendes Frauenlachen, das nie viel Anlaß benötigte oder eigentlich gar keinen. Wie man die beiden zusammen sah, könnte man denken, sie turtelten! Bittner konnte es einfach nicht lassen, und die Wiedenkopf duldete es gern, ungeachtet aller Verstellungskunst. Wie geschmackvoll sie doch ihre Augenfarbe zur Brosche abgestimmt habe! «Senta, du wirst immer jünger!»
    Bittner dachte wohl, die Frau, die diesen Satz nicht gern höre, müßte Mutter Natur erst noch hervorbringen. Nicht, daß Männer ihn verschmähten; und sicher gerade Bittner nicht, der noch immer ein schöner Mann war, bei dem sich unterm sandfarbenen Jackett aber doch schon das unvermeidliche Bäuchlein zu runden begann. Ob er denn glücklich mit seiner neuen Agentin sei, wollte die Wiedenkopf von ihm wissen? «Tu peux toujours revenir!» Da wurde also schon auf Französisch gegurrt.
    Karl erinnerte sich, wie zu ihrem Geburtstag ein Artikel erschienen war, der ihr, wie sie bei ihrem abendlichen Anruf klagte, den ganzen Tag verdorben hatte, weil er zwei kleine Spitzen enthielt. Karl war ihr beigesprungen undhatte einen Leserbrief verfaßt, in dem er seine Verwunderung darüber ausdrückte, daß der Autor des Gratulationsartikels so viele Disteln in seinen Feststrauß gesteckt habe. Am Tag, als dieser Leserbrief erschien, hatte die Wiedenkopf Karl im Büro aus Dankbarkeit umarmt.
    Aber jetzt hatte sie nur Augen für Bittner. Sie habe ihn beim Autofahren neulich zufällig in der Füllmaurerstraße gesehen, da habe er wohl der Galerie einen Besuch abgestattet? Doch sicher nicht nur wegen der neuen Exponate? Da sei jetzt ja nur noch die süße Frau Kraus.
    Karl zog es vor, die Runde für einen Moment zu verlassen. Nur noch die Kollegin in der Galerie – mußte denn immer Salz in die Wunde gestreut werden! Karl wollte jetzt nicht darin herumstochern. Was gab denn der Starautor Alexander zum Besten? Eine kleine Traube hatte sich um ihn gebildet, der Karl sich für einen Moment anschloß. In feines Tuch gehüllt, den prominenten Unterkiefer hervorgeschoben, erzählte er gerade von seinen Erinnerungen an Gabriel, der ihn entdeckt und gefördert hatte. Er war einer der Fluggäste, die in der Nacht von Gabriels Tod nicht in München hatten landen können. Nannte man das nicht übrigens
Räzel
, wenn die Augenbrauen zusammengewachsen waren?
    Karl hörte eine Weile zu und dachte an den Verstorbenen. Zweimal war er von ihm in die Verlagsvilla eingeladen worden, beides Mal hatte es Lachssuppe gegeben, vonder ukrainischen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher