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Die Betrogenen

Die Betrogenen

Titel: Die Betrogenen
Autoren: Michael Maar
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Köchin zubereitet, und beides Mal hatte der Hausherr sich nach den ersten Löffeln mit hochgezogenen Brauen erkundigt, ob Karl auch die Einlage bemerkt habe? Alexander mußte oft in den Genuß dieser Einlage gekommen sein, dabei war er als Gourmet bekannt. Bei Gruppenlesungen pflegte er nach seinem Auftritt die Entourage aufzufordern, mit ihm ins nächste Edellokal zu ziehen. Ob er das auch in Tokio getan hatte, woher sein Flugzeug gekommen war? Aber da hatte die Entourage wohl gefehlt.
    Als Karl zum Bittner-Kreis zurückkehrte, die Wiedenkopf war schon wieder weitergehuscht, brummte Manteuffel gerade in verächtlicher Mißbetonung etwas über Scho
sta
kowitsch. Offenbar war das Gespräch auf Musik geraten; da war eine Weiche falsch gestellt worden, und jetzt befand man sich auf bekanntermaßen gefährlichem Terrain. Wie lange es wohl gutginge, bis ihr Bähnchen aus den Schienen hüpfen und in Schotter und Schlamm rutschen würde? Daß Bittner schon beim Scho
sta
kowitsch innerlich zusammengezuckt war, konnte Karl sich vorstellen. Nach allem, was er erzählt hatte, dürften seine Nerven eher Spinnweben als Taue sein.
    Doch für den Moment herrschte Entwarnung – Bittner gab zu aller Überraschung den Komödianten. Ja, auch darin glänzte er, Karl hatte es schon früher erlebt; es mußten sich Schauspieler unter seinen Vorfahren befinden,nach denen Karl als aus der Pflicht entlassener Biograph nun nicht mehr zu recherchieren hatte.
    «In der italienischen Provinz wird die
Traviata
gegeben», hob Bittner an, und Karl freute sich auf die angeblich sogar wahre Geschichte, obwohl er sie schon einmal gehört hatte. «Einen Tag vor der Premiere erkrankt der Baß, der örtliche Laiensänger darf in der Rolle des Arztes für ihn einspringen, es ist der Moment seines Lebens. Als er vor gefülltem Haus seinen Auftritt hat, verliert er vor Aufregung die Stimme. Sein Einsatz kommt, er wird nach dem Befinden Violettas gefragt, was soll er tun? Er kriegt keinen Ton heraus, geschweige denn seine Arie. In seiner stummen Not macht er» –: und hier führte Bittner, großäugig und mit unbewegter Miene, die hin und her kippelnde Bewegung mit der ausgestreckten rechten Hand vor, die ein «Na ja, so là-là, nicht zum Besten, offen gesagt» ausdrückt.
    Bei dieser von einem Herunterziehen der Mundwinkel begleiteten Geste, bei der die Hand zu beiden Seiten abwechselnd von Marionettenfäden hochgezogen zu werden schien, glitt selbst bei Manteuffel ein Schmunzeln über die Lippen. Bittner, der alte Zauberer, hatte sein Repertoire noch am Schnürchen. Karl bewunderte ihn dafür, gerade weil er wußte, daß es in seinem Innern wohl düsterer aussah – wie düster, sollte er erst zu später Stunde in der Pianobar erfahren.
    Das Verdi-Terrain war damit glücklich überquert; Bittnerhatte darauf verzichtet, seine früher bekundete Geringschätzung des Meisters ins Feld zu führen. Cornelius warf etwas über Rossini ein, der nur zweimal im Leben geweint habe, einmal nach dem Tod einer Sopranistin, das andere Mal, als ihm bei einem Bootspicknick ein getrüffelter Truthahn ins Wasser geplumpst war. Oder war es ein Kapaun?
    Doch dann nahm ihr Zug falsche Fahrt auf, die Rede kam auf Polen und Chopin. Und hier holte Bittner überraschend zum Verdikt aus. Chopin, erklärte er mit strengem Blick, Chopin habe keine Metaphysik.
    Wie? Das meine er im Ernst? Manteuffel schüttelte ungläubig den Kopf. Er hatte selten einen größeren Schmarrn gehört. Karl wurde es unbehaglich. Er kannte Manteuffel und wußte, wie wenig nötig war, um den Rohrspatz in ihm zu wecken, wenn nicht den Leu. Selbst für den Kellner, der ihm ein Tablett mit Lachsschnittchen vorhielt, hatte Manteuffel kein Auge mehr, fast hätte er ihn zur Seite gestoßen.
    Zum Glück stand Cornelius bei ihnen, den als ehemaligen Panzerfahrer nichts aus der Ruhe brachte und der sich auch jetzt nicht lange bitten ließ. Metaphysik, warf er ein, sei vielleicht keine Eigenschaft, die einem Gegenstand wie der Musik anhafte wie der Henkel einem Krug – aber ob man sich nicht zurück in die Hotelbar begeben wolle, hier sei ohnehin nichts mehr los?
    Doch Manteuffel war nicht mehr zu halten. Fesseln waren von ihm abgefallen, hemmende Bande hatten sich gelöst. Chopin keine Metaphysik? Was für ein Mumpitz, was für ein Mega-Schmarrn! Und was war mit Bittners Lieblingsfex, Old Shithouse Bruckner – ein Einfall pro Satz, und dann die Repeat-Taste! Und der heilige Johann Sebastian? Höchstens ein
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