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Die Bestimmung

Die Bestimmung

Titel: Die Bestimmung
Autoren: Erik Kellen
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als ein heller eckiger Flecken in einem Meer aus wogendem Gras stand.
    Tok fror. Er fror immer. So war es für ihn bestimmt. Kälte war Hass, war Wachsamkeit; Wärme war ... Schwäche, so sagte es sein Gebieter. Und so trug Tok nicht mehr als eine abgewetzte, speckige Fellhose, die ihm kaum bis über die klapprigen Knie reichte und einen löchrigen, alten, gelben Pullover, durch den der Wind unerbittlich pfiff. Schuhe waren ihm verboten.
    Tok war ein Rätselfinder. Gerade mal Einmeterzwanzig groß, mit einer dürren langen Nase, die immerzu zitterte und in der Mitte wie ein Zweig gebrochen war; spitzen, fransigen Hängeohren, die einen an verwelkte Herbstblätter denken ließ und murmelkleinen, orangen Augen. Die wenigen Haare auf seinem kleinen Kopf waren kaum der Rede wert.
    Ein wenig abseits, weiter hinten, standen die Kreaturen. Schmal, wie geflochtene Äste, aus denen sie auch gemacht waren. Hoch gewachsen und ungeduldig, wippend und klackernd. Scharfe Klingen hingen an ihren langen Armen herunter. Aber diese würden sie heute Nacht nicht brauchen, das hatte Tok schon begriffen. Viel mehr Sorgen machte er sich um seinen Gebieter, hoch aufragend neben ihm, der noch immer hinunter ins Tal starrte und sich nicht rührte. Ein Teil seiner einst fein gebogenen edlen Nase ragte aus den langen Haaren, die sich trotz des Sturms nicht bewegten. Wie einen Mantel umgab ihn diese Mähne, die ihm bis weit über die Hüften reichte - glutrot und von flüssiger Anmut. Tok wurde nervös. Dieses lange Schweigen des Magiers hatte nichts Gutes zu bedeuten, das wusste er aus leidvoller Erfahrung. Er schaute ebenfalls wieder hinunter zum Haus und langsam stieg Panik in ihm auf. Still lag das Gebäude da. Kein Licht erhellte die Fenster, kein Rauch stieg aus dem Schornstein. Vor wenigen Tagen war dies noch anders gewesen. Da hatte er die Alte noch durch ihren Kräutergarten stapfen sehen, als wollte sie ewig leben. Tok hielt das Schweigen nicht länger aus.
    «H ... Herr», stotterte er los. «Niemand konnte es wissen. Woher auch? Der Wind hat ihre Zeit genommen und fortgetragen. Es muss passiert sein, als ich Euch herführte.» Er faltete die Hände flehend zusammen. «Aber ist es denn schlimm? Eine weniger, Herr. Gut für uns ... ähm, Euch.»
    Nur eine kurze schnelle Bewegung und Tok hing an seinen wenigen Haaren in der Luft und strampelte wild mit den Beinen. Er glaubte, seine Kopfhaut würde sich lösen.
    Sieh ihn nicht an! , dachte er zwischen den Schmerzen.
    «Bitte Herr, nicht. Lasst mich wieder herunter!», wimmerte er mit zusammengekniffenen Augen. «Ich bin Euer Rätselfinder. Ein guter, feiner Rätselfinder. Ich habe Euch all die Zeit weitergedient. Habe die verfluchte Brut im Auge behalten bis zu Eurer Rückkehr. Ich werde sie finden, Herr, ganz bestimmt, ich ...»
    Die Gestalt ließ los. Tok fiel flach in das kalte, nasse Gras. Er rappelte sich auf, rieb sich den Kopf und strich sich dabei besorgt über die verbliebenen Haare.
    Der Schlag traf ihn völlig unvermittelt, riss ihn erneut zu Boden und er spürte, wie Blut aus seiner Wange sickerte. Benommen sah er auf. Sein Herr ging ein paar Schritte auf die Kreaturen hinter ihnen zu, die sich beeilten in die Knie zu gehen, wobei sie die Köpfe und die Waffen senkten. Dann drehte sein Herr das Gesicht herum und schaute zu ihm herüber, während Tok sofort die Augen niederschlug. Er zitterte vor Angst. Es war doch nicht seine Schuld, dass diese alte Hexe verreckt war. Er hatte nichts getan. Er ...
    Plötzlich tauchte neben einer der Kreaturen ein kleineres Wesen auf, das grob am Kragen gepackt nun zu ihm herübergegeschleift wurde. Toks Herz zog sich zusammen, als er sie erkannte. Es war Nuxa, seine jüngste Schwester. Ihr Blick war flehend, ihre kleinen orangen Augen flatterten wild hin und her. Sie suchte nach einem Ausweg. Die Kreatur warf sie seinem Herrn vor die Füße. Tok konnte sich nicht bewegen, war völlig starr von dem, was dann geschah.
    Sein Gebieter umgriff Nuxas Hals und hob sie hoch wie einen Grashalm. Dann blickte er auf Tok herab und dieser schlug vor Entsetzen die Hand vor den Mund, als die vielen wurzelförmigen und verdrehten Finger seines Herrn in Nuxas Brust fuhren, kurz darin ruckten und dann wieder herauskamen. Nicht ein Laut war zu hören gewesen. Der Magier ließ das Mädchen los, das schlaff wie eine Puppe zu Boden fiel. Tok wollte schreien, doch seine Kehle war kalt wie Eis. Sein Herr trat vor ihn, streckte die knorrige Hand aus. In der kühlen
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