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Die Bestimmung

Die Bestimmung

Titel: Die Bestimmung
Autoren: Erik Kellen
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verdammtes Glück bei deiner Geburt, Nili. Die Nabelschnur hatte sich um Deinen Hals gewickelt und als sie Dich rausgeholt haben, da war Dein Gesicht schon ganz blau.» Seine Stimme stockte. Nilah wurde warm.
    «Aber Du hast gekämpft, Sternchen! Du sitzt hier neben mir, nicht wahr!», Er räusperte sich, nahm einen Schluck von seinem Wein.
    «Ich wollte das schon lange einmal loswerden und heute ist ein guter Tag dafür.» Es pochte plötzlich in ihrem Bauch.
    «Ich war zu spät dran, war gerade erst wieder in Barcelona gelandet. Ich machte mir solche Vorwürfe. Bestach den Taxifahrer, er solle schneller fahren, aber Du wolltest einfach nicht warten.» Er nahm einen weiteren Schluck.
    «Ich konnte ja nicht wissen, wie dramatisch Deine Ankunft verlaufen würde. Als ich im Krankenhaus ankam, da warst Du schon da. Deine Mutter ... nun, sie ..., aber die nette Schwester erlaubte mir, wenigstens ein Auge auf Dich zu werfen. Sie ging mit mir auf die Säuglingsstation, und ich wartete ungeduldig an der Tür. Zuerst verdeckte sie alles mit ihren üppigen Hüften. Ich folgte ihr mit meinen Blicken, bis sie mir etwas zeigte, das ich bis heute nicht vergessen habe.»
    «Was denn?» fragte Nilah nervös. Sie merkte, wie ihr Vater sichtlich versuchte, das Bild zu erfassen, von dem er wirklich glaubte, es gesehen zu haben.
    «Es war sehr sonderbar. Ein Zeichen, irgendwie. Nun, jedenfalls fiel das Mondlicht direkt auf Deinen kleinen Bettkasten.» Nilah entspannte sich. Sie musste fast lachen vor Erleichterung.
    «Und das war so sonderbar? Papa, Du hast mir einen Mordsschrecken eingejagt.»
    Er lächelte matt. «Jetzt wo ich es erzähle, kommt es mir auch ein wenig ... Ach, was ich damit sagen wollte, ist, dass Du etwas ganz Besonderes bist, Nili. Und das dies sogar der Mond bemerkt hat!»
    Nilah war gerührt. Sie wusste, er war nicht gut in solchen Dingen. Viele große Worte waren in seinem Herzen, aber wenn sie über die schmale Planke der Zunge mussten, kam er immer ins Stottern.
    «Ich hab´ Dich auch lieb!», sagte sie, reichte ihm eine Hand, er zog sie hoch und so tanzten sie, wie jedes Jahr. Ein schuldbeladener Vater mit seiner Tochter in einem dunklen Garten, auf einer Anlegestelle, mitten in Hamburg. Der eine groß und beschützend, die andere klein und voller Zweifel. Während der eine begriff, dass er bald loslassen musste, erkannte die andere nicht, wie der Boden unter ihren Füßen Risse bekam.
     
    Spät in der Nacht war Nilah oben auf dem Dachboden. Das runde Fenster zielte mit einem hellen Balken Mondlicht genau auf ihre Hängematte, in der sie die Beine baumeln ließ. Vielleicht mochte sie den Mond deshalb so gern, weil er schon bei ihrer Geburt auf sie herabgesehen hatte? Eine geheimnisvolle Vorstellung.
    Kuschelig war es hier oben auf dem Dachboden - und schaurig schön. Wenn das Holz knarrte und der Staub in der Luft hing. Sie lag da, strich zärtlich über ihre neue Uhr und lächelte. Es war schön, wenn die Stadt ihren Lärm bis auf ein stetes Brummen herunterfuhr. Man den Himmel so lange ansehen konnte, bis er vor den Augen verschwamm. Manchmal wollte sie ihr ganzes Leben hier verbringen. Weiche, warme Wattewelt.
    Draußen aber erhob sich die alte Frau erneut, um ihre Klage nun endgültig zu verkünden, mit Lippen aus Gras, gefallene Köpfe zu ihren Füßen. Ihre raue Kehle kreischte in die wandernde Beuge des Mondes:
    N I L A H ...
    Dieser erste Klang spie vollkommenes Entsetzen in die Nacht. Konnte Haare sträuben und Herzen spalten.
    Rasselnd zog sich die Brust zurück und begann von neuem:
    N I L A H ...
    Nun brüllte sie eine Warnung heraus für alle, die noch lebten. Sie drang mitten aus dem Fluss der Zeit und des Todes:
    N I L A H ...
    Der dritte Schrei schabte sich in die Welt der Unwissenden. War ertränkt von solcher Traurigkeit, dass jeder in seinem Hall den Mut verlieren musste.
    Doch Nilah summte einen Song, den MP3-Player auf ihrem Bauch.
    Sie hätte es sicher nicht gewollt, dass etwas seinen einsamen Flügel um ihren Körper spannte, der weitaus mächtiger war, als der Ruf einer Todesfee. Und weitaus gefährlicher.
    Aber dies war nicht länger ihre Welt.
     
     

Ascheherz
    Irland. Heute.
    Ein Sturm brüllte von Nordwesten her über die zerklüfteten Felsen Connemaras. Schäumende Fäuste aus Wellen brachen sich an den dunklen Klippen, die Wolken zogen am Nachthimmel wie fliehende Geister. Auf einem Hügel standen regungslos mehrere Gestalten und blickten hinunter auf ein einsames Cottage, das
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