Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bestimmung

Die Bestimmung

Titel: Die Bestimmung
Autoren: Erik Kellen
Vom Netzwerk:
Nachtluft dampfte darin das Herz seiner Schwester. Tok spürte den Wahnsinn nach sich greifen.
    «Vergiss nie wer ich bin!» flüsterte der Einzige. Von einem Augenblick zum nächsten wurde Nuxas Herz dunkel und verschwand als Asche im Wind.
    Tok erkannte noch aus seinen tränenerfüllten Augen wie sich sein Gebieter umdrehte und in Richtung Strand aufmachte. Er kroch zu dem leblosen Körper seiner Schwester, der sich schon aufzulösen begann, hob sie an seine Brust, streichelte ihr Gesicht und weinte all seinen Schmerz in die Dunkelheit.
    Tief in der Nacht, Tok fühlte nichts mehr, griff er nach einem scharfkantigen Stein und schnitt eine tiefe Wunde in seine Hand. Er wühlte darin, bis er den Samen gefunden hatte. Lange dachte er über nichts mehr nach, als er ihn in der Erde vergrub, danach behutsam die Stelle festklopfte und tarnte. Es war das letzte seiner Art, das wusste er, als er die zitternden Lippen sanft ins Gras drückte und ihm seine Geschichte erzählte.
     
     

Jemand Deines Stammes
    Am nächsten Tag knallte Nilah ihre Sporttasche in die Zimmerecke und fluchte. Diese drei Punkte, die sie für das Zirkeltraining bekommen hatte, stachen tief. Dabei war doch klar, dass diese Zensur einzig auf ihre Frage zurückzuführen war, ob die Lehrkraft jemals selbst an diesem dicken Tau bis unter die Hallendecke geklettert war. Aber Freidenker waren im Sportunterricht nicht willkommen und wenn sie noch so viele Lacher auf ihrer Seite hatten.
    Ein Stockwerk tiefer war geschäftsmäßiges Lachen zu hören, und Nilah musste schmunzeln. Ihr Vater verstand es mal wieder, die Arbeit mit dem Vergnügen zu verbinden. Auch wenn er zuweilen sagte, dass die Filmbranche ein verdammtes Haifischbecken sei und dabei randvoll mit Nichtschwimmern, hatte Nilah doch nie eine ernsthafte Verwundung an ihm festgestellt - im Gegenteil. Er liebte seinen Job, auch wenn er das nicht zugab und stattdessen oft brummte und schimpfte. Dafür konnte es passieren, dass Leute, die man irgendwann mal im Fernsehen gesehen hatte, plötzlich am Küchentisch hockten, Tee schlürften und sich mit Nilahs selbstgebackenen Keksen vollstopften.
    Sie war daran gewöhnt und solange nicht Johnny Depp höchstpersönlich mit seinen unglaublich braunen Augen hier auftauchte, war alles in bester Ordnung.
    Unten klapperte Geschirr und das Telefon ging. Ein Stuhl wurde zurückgeschoben.
     
    Über Nilah van Arten hätten einige Menschen etwas sagen können. Für Mohamed Nazari, ihren lieben Nachbarn zur Rechten, war sie wie eine Adoptiv-Tochter. Für die Rothmanns, links nebenan, war sie ein schweigsames, aber höfliches Mädchen. Ihre Lehrer hätten hinzufügen können, dass sie nur so viel tat, um sich irgendwie durchzuwurschteln, verschenktes Potenzial. Ihr Sportlehrer müsste allerdings die schlabbrige Armmuskulatur bemängeln. Für ihren Vater war sie der Mittelpunkt seines Daseins, aber das sagen Väter immer, in der Regel.
    Doch alle würden auf nähere Nachfrage die Linie erwähnen, den unsichtbaren Graben, der Nilah umgab. Für sie selbst war es eher ein Abgrund, ein unbekanntes Wesen. Irgendwann war irgendwo ein Stern erloschen, hatte sich um sich selbst zusammengeballt und verschluckte seitdem die Zeit, das Licht, ja ganze Welten. Und genau so ein finsterer Stern wohnte unter einer ihrer Rippen, da war sie sich sicher.
    Nilah ging in ihr Badezimmer, zog sich aus und warf alles in den Wäschekorb. Sie guckte in den Spiegel, streckte sich selbst die Zunge 'raus und grinste diabolisch. Schieb deinen dicken Hintern da doch selber rauf, Potzki! , das hätte sie sagen sollen. Das wären wenigstens glorreiche null Punkte gewesen. Sie betrachtete die langen Haare, die vorn fransig geschnitten waren, und verzog den Mund. Sie bereute den kreativen Aussetzer, den sie gehabt hatte, als sie sich vor einer Woche die Haare selbst geschnitten hatte. Seit diesem Tag trug sie bunte Wollmützen. Sie zog die feinen Brauen hoch und fingerte an den dunklen Ringen unter ihren Augen herum, die sie jedes Mal wegpudern musste, wollte sie nicht wie ein Zombie aussehen. Eine Spur Hoffnungslosigkeit da, ein Hauch von Großstadt-Wahnsinn dort. Einmeterzweiundsechzig. Hellbraune Augen, die ständige Verlorenheit offenbarten, wenn man nur genauer hinsah.
    Die kleine, wie geschabte Vertiefung einer alten Narbe unter dem linken Auge würde wohl für den Rest ihres Lebens bleiben.
    «Nili?»
    Das war ihr Vater. In besonderen Momenten nannte er sie «Sternchen». In der Schule hieß sie van
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher