Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bestimmung

Die Bestimmung

Titel: Die Bestimmung
Autoren: Erik Kellen
Vom Netzwerk:
durfte er nicht einmal zu Ende denken. Sein Herr war es doch gewesen, der die Rätselfinder mit einem Pakt an sich gebunden hatte, als hätte er alles vorausgesehen. Und wie verlockend dieses Bündnis gewesen war. Wiederkehrer waren sie geworden - so gut wie unsterblich! Diese Aussicht hatte sie alle Vorsicht verlieren lassen. Wie dumm von ihnen!
    Durch all die Jahrhunderte war seine Familie gezwungen gewesen, sie zu suchen. Das Blut zu finden. Den einen Stammbaum entstehen zu lassen. Seine Äste zu vervollständigen. Aber wie man eine solch gebärfreudige Brut im Auge behalten sollte, das hatte niemand erklärt! Wer hätte denn ahnen können, dass die Menschen die Kontinente miteinander verbinden würden? Sich in alle Winde verstreuten, wie entfesselte Funken aus einem immer größer lodernden Feuer. Wie, verdammt?
    Ja, er hatte ihr nachgejagt wie ein hungriger Bluthund. Der einen Linie! Aber über die Zeit hatte er beinahe vergessen, warum er es eigentlich tat. Er hatte Dinge gesehen, die er niemals hatte sehen wollen.
    Tok war es leid. Über zweitausend Jahre des Suchens. Dabei konnte man sich nicht einmal sicher sein, denn das richtige Blut sagte noch lange nichts über die richtige Seele aus.
    Warum? Warum hatten sie seinen Herrn nur aus dem kalten Meer gehievt? Verdammte Menschen! Wer befreite schon eine sengende Flamme in einem ausgedörrten Wald? Dummköpfe! Idioten!
    Die, die ihn befreit hatten, lagen jetzt am Grund des Meeres.
    Tok erhob sich und blickte aus dem schmalen Fenster. Irgendwo dort unten war seine Familie. Allesamt eingesperrt. Sie wussten noch nichts von Nuxas Tod. Bewacht von den Leblosen , jenen, die ihr Herz nicht hatten verschließen können, vor einer solchen Aura wie der seines Herrn.
    Schon lange dachte er darüber nach, diesem Treiben ein Ende zu machen. Ruhe zu finden. Er wusste etwas, das niemand sonst wusste. Ja, er war ein guter Rätselfinder. Und die Mächtigen überschätzten sich allzu oft. Eine beharrliche Schwäche, die sie niemals abgelegt hatten. Allerdings würde er dafür über Leichen gehen müssen, soviel war ihm klar.
    Sie waren in einem alten Gemäuer, von dem Tok wusste, dass es einmal ein Kloster gewesen war. Er kannte sich ziemlich gut aus mit diesen Menschenbauten. Festungsgleich hing es auf dem Rand einer Klippe und machte den Eindruck, es könne jeden Augenblick hinab ins Meer fallen.
    Ein paar der Kreaturen, die sein Herr wieder zu sich gerufen hatte, zerrten Gegenstände durch die unbeleuchteten Gänge. Manchmal hörte man grauenhafte Laute, die aus ihren Kehlen drangen. Tok hatte sich in eines der hohen runden Türmchen geflüchtet, um ihnen aus dem Weg zu gehen. Er hoffte, von hier oben vielleicht das Schiff zu sehen, etwas, das ihn wieder würde hoffen lassen, aber er wurde enttäuscht.
    Ein Geräusch riss ihn aus seinen Gedanken. Er blickte auf und erstarrte. Ein dürrer Schatten stand in dem schmalen Torbogen zur Treppe.
    «Steh auf, Wicht!», klackte es. «Der Einzige will Dich sehen!»
    Tok folgte zaghaft und bald waren sie in einem hohen Raum, mit einer gewölbten Decke. Ein mächtiger, verzierter Holztisch stand in der Mitte. An seinem Ende saß sein Herr mit gesenktem Haupt. Seitlich über ihm, in einer Wasserblase gefangen, schwebte ein großer, roter Krake und warf mit seinen Tentakeln pulsierendes Licht auf den Tisch nieder. Die Haare des Einzigen wirkten dadurch wie flüssiges Blut. Als hätte der Krake Toks Gedanken gehört, fuhr sofort einer seiner Greifarme zu ihm aus und blendete ihn im Gesicht. Tok hob die Hand vor die Augen und blinzelte.
    «Herr, Ihr habt mich rufen lassen?», flüsterte Tok.
    Die Gestalt am Ende des Tisches bewegte sich nicht. Tok blickte immer wieder nervös in die grabesdunklen Ecken der Halle. Er ahnte unsichtbare, kalte Augen darin. Er blieb so leise wie möglich stehen und wartete. Als sich seine Augen an das dämmerige Licht gewöhnt hatten, bemerkte er etwas auf dem Tisch. Sofort krampfte sich sein kleines Herz zusammen. In Gedanken sah er es schon pochend in der Hand des Einzigen liegen und dampfend davon wehen. Tok starrte auf seine wunden Füße und knetete seine Hände. Auf dem Tisch, unter einem dunklen Tuch verborgen, erkannte er eindeutig die Umrisse jenes kleinen Baumes, den er seinem Gebieter übergeben hatte. Die Linie - der Stammbaum. Dass erneut Schweigen die Antwort auf diesen uralten Dienst war, konnte nur bedeuten, dass wieder etwas nicht nach Plan verlaufen war. Ganz vorsichtig blickte er auf.
    Weg!
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher