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Die Bestimmung

Die Bestimmung

Titel: Die Bestimmung
Autoren: Erik Kellen
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beschützen? , hämmerte es wild in Nilahs Kopf. Ferne, unbekannte Bilder schritten an ihr vorbei, traten in ein fahles Licht und vergingen wieder.
    «Sie haben ihn wieder heraufgeholt, diese verfluchten Narren! Der Einzige – er ist wieder frei!» Wieder das Platschen von geworfenen Steinen.
    Der Blick wurde milder.
    «Das hier ist Magie, Nilah. Verwirrend wie der Wind, scheu wie die Wölfe. Kaum erkannt, schon Erinnerung und dann nur noch … Nebel.» Die Worte wurden mit jeder Silbe dünner. Wie durchscheinend. «Finde meinen Bruder! Vertraue ihm!», dann lächelte sie wie jemand, der Abschied nehmen muss, machte ihre Hand schlank, entglitt Nilahs Griff, fiel zurück in den Strom der Toten und trieb, den Blick weiter auf den Anleger gerichtet, davon ... verwirrend wie der Wind, scheu wie die Wölfe und verschwand.
     
    Nilah schreckte hoch. Ich bin eingeschlafen, verdammt! Habe ich geträumt? Sie schaute sich um und genauso wie sich der Geruch von Rauch im Wind auflöst, verschwand allmählich dieses wirre Gefühl. Nachdenklich stand sie einige Minuten da und suchte das Fleet zu beiden Richtungen ab. Den Park, den Nachthimmel.
    Sie ging durch den Garten zurück ins Haus, zog sich um, brachte die Decken nach draußen, um alles für die kleine Feier vorzubereiten. Ein paar Kerzen, die von Glas geschützt in der Dunkelheit glimmten. Das Fleet schwarz und ruhig wie immer. Das erste Laub fiel leise. Der Tag war ungewöhnlich warm, ein schöner Tag.
    Es war nichts geschehen. Absolut gar nichts. Nur ein siebzehnter Geburtstag.
     
    «Habe es doch noch geschafft, Sternchen!» Ihr Vater kam durch den Garten geschlendert. In einer Hand eine Papptüte, in der anderen eine Minitorte mit dicht gedrängten, siebzehn brennenden Kerzen. Er sah aus wie immer: Schlabberjeans, ein T-Shirt auf dem «ELBPIRAT» stand, Turnschuhe, die Haare wie eben erst aus dem Bett gekrabbelt, Fünf-Tage-Bart und einem so unwiderstehlichen Charme, der Eisenträger verbiegen konnte.
    Mit einem schweren Seufzer ließ er sich neben ihr nieder, stellte die Torte zwischen den Weingläsern ab und schaute über den Kanal hinüber zum Park.
    «Veggie-Hotdogs?» Nilah deutete auf die Papptüte. «Mhmmm!»
    «Klar, so frisch wie es eben geht», grinste er, fummelte sein Handy aus der Hosentasche, fuhr mit dem Finger über die Oberfläche. Es war 22:18. Das war wirklich knapp gewesen.
    Irgendwie gefiel Nilah dieses kitschige Ritual. Jedes Jahr bestand er darauf, ihren Geburtstag immer auf die Minute genau mit ihr zu feiern. 22:22. Sie war schon bei ihrer Geburt eine Nachteule gewesen. Heute allerdings schien ihr Vater aufgeregt zu sein. Plötzlich erklang «Happy Birthday» aus dem Handy, ganz leise. Ihr Vater schob ein kleines, eckiges Päckchen über die Wolldecke.
    «Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Sternchen», sagte er leise.
    Nilah drehte das Geschenk einen Moment lang unschlüssig, doch dann zerriss sie neugierig das Papier. Zum Vorschein kam eine edle schwarze Schachtel. Sie öffnete vorsichtig den Deckel und hielt überrascht die Luft an.
    «Oh, Papa!», flüsterte sie. Vor ihr lag eine Uhr. Eine Taucheruhr. Sie sah genauso aus, wie sie sie in Erinnerung hatte. Ein dickes und schweres Gehäuse, das schlichte dunkelblaue Ziffernblatt, die drehbare Lünette. Wie oft hatte sie diese Uhr als kleines Mädchen ihrem Vater stibitzt, nur um unter der Bettdecke festzustellen, dass die Zeiger wirklich im Dunkeln leuchteten. Wie oft hatte sie sich vorgestellt, selbst eine solche Taucheruhr zu besitzen! War mit ihr, am Handgelenk schlackernd, wie eine Königin umherstolziert. Hatte in der Badewanne gefährliche Tauchgänge absolviert und wollte damit, wie in den Abenteuergeschichten, in die tiefsten Tiefen tauchen. Ergriffen blickte sie auf.
    «Ich hab sie von einem Uhrmacher fertigen lassen», erklärte er und der Glanz in seinen Augen sagte alles andere. Sie sah wieder auf ihr Geschenk. Sie bemerkte, dass auf dem Ziffernblatt nicht Timex stand, sondern etwas anderes darauf war: Ein Stern. Sie schluckte schwer und umarmte ihn, so fest, bis er lachend husten musste.
    «Da ist noch etwas», fügte er hinzu, während sie sich wieder setzte und die Uhr in beiden Händen hielt wie einen alten Schatz. Nilah schaute fragend auf.
    «Ist schon gut, Paps», murmelte sie und hoffte, er würde es nicht sagen.
    «Nein, nein. Du weißt es nicht, weil ich es Dir nie erzählt habe», begann er und schaute ihr in die Augen. Sie verkrampfte sich.
    «Du hattest damals
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