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Die Bestimmung

Die Bestimmung

Titel: Die Bestimmung
Autoren: Erik Kellen
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ein.
    «Jemand holt es ab», sagte er knapp, «und niemand rührt es bis dahin an!»
    Er hätte diesen Befehl nicht einmal ausgeben müssen, denn vorerst wagte sich keiner mehr in die Nähe der Kiste, die in Ketten wie ein erstarrter Schatten da stand. Niemand wollte sie länger auf diesem Schiff und einige murmelten, es sei besser, das Ding einfach wieder ins Meer zu stoßen, als es noch eine Minute länger an Bord zu wissen. Auch sprach niemand mehr von einem Schatz, es wurde nur noch von einem Sarg getuschelt. Doch die Worte des Kapitäns waren eindeutig gewesen. Es würde jemand kommen und sich um die «Angelegenheit» kümmern. Ihnen allen würden dicke Extraprämien winken, was die meisten beruhigte.
    In der Nacht stand Sergei in seiner Kajüte und betrachtete sich in einem kleinen an die Wand geklebten Spiegel. Dunkle Stoppeln im Gesicht und auf dem Kopf und eine schwache Erinnerung daran, dass er sich eigentlich jeden Tag den Schädel rasierte, machten ihn grimmig. Denn Spiegelbild und Erinnerung passten nicht mehr zusammen. Hilflos sah er sich um, steckte sich nach langem Suchen eine Filterlose an und, als ob darin eine Zuflucht läge, hatte er binnen einer Stunde eine halbe Schachtel verqualmt. Er drückte den letzten Stummel auf einer überquellenden Untertasse aus. Gehetzt war sein Blick nun. Irgendetwas juckte fürchterlich unter seiner Haut. Er stand auf, ging in die Messe und griff nach der Erlösung. Nur wenig später fand er sich auf seiner Koje sitzend wieder, in der Hand eine Flasche Wodka, der Deckel am Boden rollend und der Inhalt in seinem Magen. Er schüttelte verwirrt den Kopf, bekam Angst. «Frische Luft», murmelte er, stand nach der Tischkante greifend auf, aber seine Hand glitt ab und er ging zu Boden, wobei er die Flasche wütend fort stieß. Japsend lag er da und starrte an die Decke. So grausam bekannt war ihm diese Haltung, dass ihm elend wurde. Gedanken blitzten durch seinen Kopf. Bilder von einem Entzug vor vielen Jahren, von der Liebe seiner Frau, davon, dass er eigentlich gar nicht mehr rauchte und fernes Lachen seiner Töchter. Vor Schmerz krümmte sich Sergei zusammen und die Welt war ihm ein Rätsel. Er fühlte sich leblos! Lange lag er dort zusammengekauert, wobei er auf einen Ölfleck am Boden neben sich blickte. Irgendwann setzte er sich auf, schüttelte sich, zog sich hoch und klatschte sich über dem Waschbecken kaltes Wasser ins Gesicht. Er musste wieder auf die Brücke. Als er an dem kleinen Spiegel vorbeikam, sah er sich erneut dort stehen. Betrunken, unrasiert und ekelhaft verloren. Dann fing er an zu grinsen.
    Ich befreie Euch, Einziger , dachte er, nahm den Schlüssel, der an seiner Halskette hing und öffnete den Tresor. Mehrere Dynamitstangen lagen im unteren Fach, wo auch die Papiere des Schiffs und der Besatzung aufbewahrt wurden. Zwei Stangen nahm er heraus, ließ die Tresortür offen stehen und ging hinaus. Die Deckwache hielt ihn nur mühsam auf, als er bereits mit einer brennenden Lunte und hysterisch schreiend aus der Tür wankte und dabei immer wieder etwas brüllte, das niemand verstand. Einer der Männer schaffte es, ihm die zischende Stange zu entwinden und rechtzeitig über Bord zu werfen. Nur Augenblicke später gab es einen gedämpften Knall. An Backbord hob sich das Meer schäumend an. Eine weiße Fontäne schoss empor, die alle nass klatschte. Vier Matrosen waren nötig, den Kapitän zu bändigen. Sie sperrten ihn in seine Kajüte. Nur die Aussicht auf das viele Geld hinderte sie noch, den verdammten Sarg wieder zurück in die Tiefe zu werfen.
    Der Regen zog weiter. Die Miral traf mit einem anderen Schiff zusammen, eine getarnte Jacht, die aussah wie ein riesiger Manta-Rochen, der seine Flügel unter den Bauch gedreht hatte. Das Schiff war mehr als siebzig Meter lang, keine Flagge, keine Kennzeichnung.
    Ein großes Schnellboot setzte über. Sechs maskierte Männer kamen an Bord. Wortlos gingen sie auf die Kiste zu, holten seltsam wirkende Harpunen aus einer langen Metallbox und schossen auf das Objekt. Helle Funken sprühten, als sich goldfarbene Bolzen in dessen Außenwände bohrten und je mehr davon in das Ding drangen, desto näher kamen die Fremden an die Kiste heran.
    Die ganze Besatzung beobachtete das Geschehen stumm von der Brücke aus. Einer der Vermummten kam zu ihnen herauf, übergab einen Umschlag und ging dann wieder, ohne ein Wort. 100.000 Euro war die Zahl, die auf dem Scheck stand. Die Mannschaft jubelte vor Freude. Es dauerte nicht
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