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Die Bestimmung

Die Bestimmung

Titel: Die Bestimmung
Autoren: Erik Kellen
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lange, da wurde der Kasten mittels des Krans auf das Schnellboot übergesetzt, das mit seiner Fracht unter dem Bauch der Jacht verschwand. Für das was dann geschah, würde es niemals einen Zeugen geben.
    Die Wirklichkeit verdrehte sich. Ein mächtiger Bug schälte sich aus der Dunkelheit wie ein Phantom. Mit einem weißen Auge und einer blutroten Pupille darin, gemalt auf Holz! Ein Rammsporn wölbte das Meer wie ein unter der Oberfläche rasender Torpedo. Der Bugspriet griff weit geschwungen bis hoch in die Nacht. Dann tauchten Ruder auf. Erst wenige, dann immer mehr. Ein Mast mit Segel, ein zweiter Mast mit noch größerem Tuch. Rabenschwarz. Das Heck ragte wie der drohende Stachel eines Skorpions über das Geisterschiff. Im nächsten Augenblick zerschmetterte der Sporn die Seite der Jacht. Schreie überall, berstendes Metall. Die Matrosen der Miral standen wie gelähmt. Ein zweiter Treffer, wodurch der Bug der Jacht zersplitterte, ließ einen Wirbel von Menschen und Trümmern ins Meer regnen. Dann ein Ruf. Die Besatzung fuhr herum und die Herzen blieben ihnen stehen. Ein drittes Schiff hielt direkt auf sie zu, wuchs zu einem Berg aus Holz und Bronze. Unzählige Ruder im Gleichklang.
    Aufprall!
    Die Miral wurde durchs Meer geschoben, niedergedrückt und ihre ganze Backbordseite tauchte unter. Die Männer gingen über Bord. Hilferufe, schrille Verzweiflung. Unten in der verschlossenen Kabine wusste Sergei Omanov, dass er seine Familie nie wieder sehen würde.
     

Der Fluss der Zeit

    Eigentlich sollte man an seinem siebzehnten Geburtstag keine Toten sehen, dennoch passierte genau das. Eine junge Frau lag auf dem vom Tag erwärmten Holz, direkt am Wasser. Die nackten Füße bewegten sich träge, ein Arm ruhte angewinkelt unter der Wange. Dunkelbraune Haare rahmten ein ernstes Gesicht ein, die an den Wimpern kitzelten. Das Erste, was sie beim Aufsetzen am gegenüberliegenden Ufer des Fleets wahrnahm, war eine hockende Gestalt mit langem wolkengrauen Haar, das über ein schneeweißes Gewand floss. Die bleichen, knöchrigen Arme waren ins brackige Wasser getaucht und wuschen offenbar etwas darin.
    Nilah erhob sich langsam von den Planken des Anlegestegs, auf dem sie gedöst hatte und schirmte mit der Hand ihre Augen gegen die untergehende Sonne ab, die orangegoldene Strahlen durch die hohen Bäume auf der anderen Seite schickte. Das Fleet war hier über fünfundzwanzig Meter breit und sie wollte schon rufen, dass man seine Wäsche besser nicht in diese Brühe tunken sollte, doch sie tat es nicht. Stattdessen blickte sie verwirrt den Wasserweg weiter hinauf. Dort, gut fünfzig Meter entfernt, direkt in der Mitte, trieb wie aus dem Nichts eine lange, gebogene Stange. Mit jedem sich nähernden Meter erkannte Nilah, dass noch etwas Anderes daran hängen musste, etwas, das schwerer war und die Stange fast aufrecht aus dem Kanal ragen ließ.
    Sie bemerkte jetzt auch Mohamed auf dem Nachbargrundstück, der gerade im letzten Licht des Tages die Kanten seines Rasen mit einer Gartenschere stutzte. Er sah auf und winkte lächelnd. Das Ding schwamm gerade an ihm vorbei. Verdammt! Sah er es denn nicht? Endlich konnte Nilah es erkennen. Es war eine Deichsel und schräg darunter, fast vom gelblich braunen Wasser verdeckt, ein hölzernes Speichenrad mit einer kleinen Plattform, die von einem geflochtenen Rahmen umgeben war. Das war … ein Streitwagen!? Die unglaubliche Konstruktion trieb an ihr vorbei und sie blickte ihr fassungslos nach, wie sie sich Richtung Hamburger Innenstadt aufmachte. Nilah blinzelte, denn dieses Ding gehörte hier nicht her, diese komische Frau gehörte hier nicht her.
    «Hey!», rief sie und die Alte hob den Kopf. Entsetzt taumelte Nilah einen Schritt zur Seite. Da war kein Gesicht! Stattdessen gähnte dort ein schwarzer ovaler Schatten und wo der Mund hätte sein sollen, quoll leuchtend grünes Gras heraus, das in einem Wind wogte. Aus dem augenlosen Dunkel drang eine unglaubliche Leere, die, wie ein Band, ihren Weg bis zu Nilah fand. Sie konnte sich nicht von der Stelle rühren. Gebannt musste sie zusehen, wie die Alte, deren Gewand nun wie in einem lautlosen Sturm flatterte, einen Kamm ergriff und sich damit durchs Haar fuhr. Nun erkannte sie auch, was die Gestalt dort gewaschen hatte. Es war ein Kopf. Der abgeschlagene Kopf eines Mannes!
    Für einen Moment schaute Nilah nur noch auf das Fleet und wusste sofort, dass es ein Fehler gewesen war. Reißend war das Wasser jetzt, schäumte vor Wut. Gischt
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