Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)

Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Tilman Röhrig
Vom Netzwerk:
umzurechnen. Nach drei Tagen hatte ich alles in Taler umgesetzt:
 
Reichstaler spezies
1   Lütticher Golddukaten
rd.     3,5
1   Lütticher Goldgulden
rd.     2,0
1   Brabanter Soverain d’or
rd. 11,2
1   Kaiserlicher Golddukaten
rd. 10,0
1   Brabanter Krone
rd.     2,0
1   Silberner Preußischer Taler
rd.     1,2
1   Holländischer Golddukaten
rd. 10,0
1   Holländischer Reichstaler
rd.     1,8
1   Gold Karolin od. Sonnenpistole
rd.     7,9
1   Goldpistole
rd.     6,3
    Für einen Reichstaler spezies konnte man kaufen: entweder achtzig Brote oder 171   Pfund Fleisch oder 32   Pfund Butter. Ein Handwerksmeister nahm an einem Tag rund dreißig Stuber, also einen halben Reichstaler ein. Eine mehrköpfige Familie konnte von einem Reichstaler gut eine Woche lang leben. Der Fetzer erbeutete bei einem einzigen Überfall mehr als tausend, bei einem anderen sogar mehr als siebzehntausend Taler. Unfasslich. Noch unfasslicher, dass er und seine Bande diesen Reichtum innerhalb weniger Wochen wieder ausgegeben hatten.
    Nach sechs Tagen wieder zurück zu dem Institutsbeamten, der mich mit Lineal und Zirkel ausrüstete und mir erklärte, wie man auf einer Karte einen Ort genau lokalisieren kann. Er hatte mir die gesuchten Dorf- und Flurnamen in heutige Bezeichnungen übersetzt, nur einzeichnen musste ich sie selbst. Der Marktplatz des ersten Ortes, den ich bestimmte, lag genau unter dem Kaarster Autobahnkreuz. In den folgenden vierzehn Tagen fuhr ich noch achtmal nach Bonn. Der Pförtner fragte mich teilnahmsvoll, wann ich mit meiner Diplomarbeit fertig werden würde. Ich zuckte die Schultern und seufzte.
    Kaum hatte ich das Orts- und Münzproblem gelöst, als ich die »Aktenmäßige Geschichte der Räuberbanden um 1800« fand. Nach dieser Lektüre schnitt ich neue Blätter für den Karteikasten, die Anzahl der Überfälle war jetzt auf das Doppelte angestiegen. Weil einige Begebenheiten sich völlig von den Berichten im »Antiquarius« unterschieden, beschloss ich, Zeitungsberichte aus der Zeit nach der Französischen Revolution und Stadtbeschreibungen zu suchen. In Museen und Archiven von Köln, Neuss, Düsseldorf, Aachen und Koblenz ging ich bald wie ein Student ein und aus. Einige der Historiker begrüßten mich immer wieder mit: »Ah, da kommt ja der Mann, der über den Kölner Schinderhannes schreibt!« Ich gab es nicht auf, zu betonen, dass der Fetzer viermal so viele Überfälle wie der Schinderhannes und überhaupt viel mehr … Ich wurde parteiisch.
    Um vielleicht einen Tauf- oder gar einen Heiratsantrag des Mathias Weber zu finden, musste ich im Brühler Schloss mit einer Lupe die alten handgeschriebenen Kirchenbücher von 1775 bis 1800 studieren, aber der Fetzer war wohl nicht in die Kirche gegangen.
    In Köln kundschaftete ich das Bordell aus, in dem er die größten Überfälle geplant hatte. Am Ende stand es fest, das Haus der berüchtigten »Düwels Trück« hatte in der Schwalbengasse gestanden, auf einem Grundstück, das heute der Kirche gehört.
    Mit kriminalistischem Spürsinn versuchte ich den Stellen, über die in den »Aktenmäßigen Berichten« mit »Wie durch ein Wunder …« oder »Kurzum, es gelang ihm, …« hinweggegangen wurde, auf den Grund zu gehen. Im Neusser Stadtmuseum wurde mir eine Kiste gezeigt, die der Fetzer bei seinem legendären Raubzug in das Neusser Rathaus aufgebrochen hatte. Die Figur des Heiligen Quirinus und die silberne Weltkugel werden heute noch vermisst. Diese Spur konnte ich auch nur bis Krefeld verfolgen. Den genauen Hergang seiner Flucht aus dem hohen Mühlenturm in Neuss konnte ich rekonstruieren, sogar den gefährlichen Sprung in die Tiefe: Er muss in den Moder aus Kot und Abfallen unterhalb der Stadtmauer gefallen sein, sonst hätte er den Sturz aus sieben Meter Höhe nicht unverletzt überstanden.
    Wenn man mich jetzt fragt, was für ein Wetter zu Pfingsten 1796 oder am 20.   Oktober 1798 war: Es hat, wie ich durch Berichte aus alten »Intelligenzblättern« zuverlässig erfahren habe, geregnet.
    Nach fünfmonatiger Suche und rund zweitausendfünfhundert Autokilometern hatte ich zwei Karteikästen gefüllt und war mir sicher, jetzt alle nur möglichen Quellen erschöpft zu haben, ich konnte endlich mit dem Buch beginnen. Jeden Überfall, den ich beschreiben wollte, kannte ich jetzt beinahe so, wie er durchgeführt worden war. Ganz sicher bin ich bei Wirtshäusern, Straßen, Wegen und Namen.
    Tilman Röhrig

So sah es aus in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher