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Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)

Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Tilman Röhrig
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Europa
    Als Ludwig XVI. am 21.   Januar 1793 in Paris durch die Guillotine hingerichtet worden war, erklärte nun auch England der französischen Revolutionsregierung den Krieg. Preußen und Österreich waren schon 1792 ein Bündnis gegen Frankreich eingegangen.
    Intrigen, Machtgier und Fehler der militärischen Führung machten die verbündeten Armeen zu schwach. Anfang Oktober 1794 besetzte die französische Revolutionsarmee Köln, Bonn, Kleve und Koblenz, und kurze Zeit später war das linke Rheinufer die neue Grenze der französischen Republik. Die linksrheinischen deutschen Gebiete gehörten nun zu Frankreich.
    Über dreihundert machtlose Kleinstaaten bildeten damals das Deutsche Reich. So konnten die französischen Truppen, ohne auf ernsthafte Gegenwehr zu stoßen, auch die Städte am rechten Rheinufer besetzen.
    Deserteure, Plünderer, Wegelagerer und Räuberbanden ängstigten und terrorisierten ungehindert die Bevölkerung in Stadt und Land. Noch gab es niemanden, der es mit Erfolg wagte, gegen diese Banden anzugehen. Noch war Krieg in Europa. Die Franzosen marschierten jetzt gegen Holland.

Dezember 1794
    In den Militärbaracken vor Arnheim lagen die Soldaten auf ihren Pritschen. Die meisten hatten die Mäntel nicht ausgezogen, der Winter im Jahr 1794 war sehr kalt. Die Franzosen eroberten Holland. Niemand hatte sie bisher ernsthaft aufhalten können. Um Arnheim wurde noch nicht gekämpft. Die wenigen deutschen und holländischen Soldaten warteten hier als Vorposten auf den Krieg.
    Hermann Plötz flüsterte mit seinem Freund Peter Hefrich. Die beiden Soldaten saßen dicht nebeneinander auf einer Pritsche. Auf dem Strohsack daneben lag ein junger Soldat. Er hatte die Augen geschlossen, aber Mathias Weber schlief nicht.
    Hermann Plötz sagte leise: »Wir halten den Postwagen an. Dann reißen wir einen Geldkoffer von der Ladefläche und verschwinden.«
    Sein Freund biss sich auf die Unterlippe und schüttelte den Kopf. »Mit dem Wagen fahren drei Soldaten als Wache. Das schaffen wir nicht.«
    Mathias Weber öffnete die Augen. Er stützte sich auf den rechten Ellenbogen und zischte leise durch die Zähne. Die Flüsternden fuhren herum. Plötz fauchte: »Schlaf, du Zwerg!« Mathias Weber sagte ruhig: »Ich will ein Drittel aus dem Geldkoffer.«
    Peter Hefrich war mit einem Satz bei ihm. »Du hast gehorcht!« Er packte ihn.
    Es gab einen kurzen Kampf. Mathias war kleiner und schwächer. Hefrich presste ihm den Daumen auf den Adamsapfel. Mathias versuchte, die Hand von seiner Kehle wegzustoßen, schaffte es aber nicht. Mit einem Ruck zog er das rechte Knie an und stieß es dem Angreifer in den Unterleib. Stöhnend fiel der Soldat zur Seite und schlug zwischen den Pritschen auf den Boden. Mathias kniete sich über ihn und ballte eine Hand zur Faust. Doch Hefrich stöhnte nur und presste die Hände zwischen seine Beine.
    Mathias Weber stand langsam auf und legte sich wieder auf seinen Strohsack. »Idiot!«, flüsterte Hermann Plötz.
    »Ich werd den Postwagen überfallen«, sagte Mathias ruhig. Hefrich richtete sich mühsam vom Boden auf. Er versuchte zu lachen. »Du bist ein verdammter Angeber, Zwerg!«
    Mathias ballte die Hände. »Nenn mich nicht Zwerg!« Er war klein, aber kein Zwerg, nur etwas kleiner als die anderen Sechzehnjährigen in der Truppe. Er war mager und hatte nur spärliches, weißblondes Haar. Die Nase war platt, die stumpfe Spitze nach oben gestülpt. Die fleischigen Lippen wirkten wie ein breiter Clownsmund in seinem schmalen Gesicht. Er hatte tief liegende schwarze Augen.
    »Ich werd den Postwagen allein überfallen! Ihr müsst mir nachher nur mit dem Geldkoffer helfen.«
    Sie waren schon eine Stunde durch den Schnee gestapft, endlich sahen sie die schwachen Lichter des Arnheimer Stadttores. Mathias blieb stehen. »Es muss jetzt eine halbe Stunde nach Mitternacht sein.« Die beiden anderen nickten.
    »Hier beginnt die Steigung. Hier fährt der Postwagen langsamer. Hier freuen sich die Soldaten auf den Schnaps in Arnheim.«
    Plötz und Hefrich begriffen nichts. Mathias zog sie vom Fahrweg. Sie warteten im Graben und schlugen die Stiefel aneinander und rieben sich mit den Handschuhen die Ohren.
    Bald hörten sie ganz entfernt das Quietschen von Wagenfedern. Im blassen Licht der Nacht erkannten sie den schwachen Laternenschein der Kutsche, die sich wie ein schwarzes Ungetüm auf dem verschneiten Fahrweg näherte. Mathias ließ den Mantel zu Boden gleiten. Er zog ein breites Messer aus dem Gürtel
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