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Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)

Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Tilman Röhrig
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ging zurück zu dem grölenden Haufen.
    Im Januar 1795 überschritten die französischen Truppen die Waal. Kundschafter berichteten im Arnheimer Lager von ihrer Übermacht. Übereilt wurde der Rückzug angeordnet. Die Soldaten des kleinen Vortrupps rafften ihre Habseligkeiten zusammen.
    Am Morgen des Abmarsches erschienen Peter Hefrich und Hermann Plötz nicht zum Appell, sie waren in der Nacht desertiert. Der Trupp zog sich über Groenlo bis nach Zwolle zurück. Mathias bestach einen Kutscher und durfte auf einem Pferdewagen mitfahren. Die meisten deutschen Söldner desertierten, und nur noch ein kleiner Haufen des Vortrupps erreichte Zwolle. Zelte wurden aufgeschlagen. Es war kalt.
    Am Zahltag musste der kommandierende Offizier bekannt geben, dass kein Geld mehr da war, um den Soldaten den Sold zu bezahlen. Er löste die Truppe auf. Auch Mathias wurde entlassen. Er reiste mit der Postkutsche zurück in die Gegend von Krefeld. Hier kannte er sich aus. Zwischen Grefrath und Büttgen war er 1778 in einem Wirtshaus geboren worden.
    Die Mutter war nach seiner Geburt im Kindbett gestorben. Den Vater hatte Mathias kaum gekannt. Der alte Weber hatte bei den Preußen gedient, war desertiert und hatte dann in einer Manufaktur bei Grefrath gearbeitet. Im Frühjahr 1784 war er nach einem Saufgelage gestorben. Der Scherenschleifer Franzis Gerards nahm den Jungen zu sich. Mathias begleitete Gerards von Ort zu Ort, sodass er fast nur in Wirtshäusern aufwuchs. Der Scherenschleifer zeigte ihm schon sehr früh, wie man reichen Bürgern die Geldbeutel aus den Taschen stiehlt, wie wichtig Beine und Füße bei einem Kampf mit stärkeren Gegnern sein können und wohin man einen Menschen schlagen muss, damit er bewusstlos wird und leichter zu berauben ist.
    1789 hätte Mathias beinahe seinen Spielkameraden mit einem Knüppel erschlagen. Er hatte ihn Zwerg genannt.
    Danach musste Mathias die Gegend verlassen. Mit Hilfe des Pfarrers von Büttgen war er auf das Gut der Gräfin von Efferen-Neersdonk in der Nähe von Vorst gekommen. Er war damals elf Jahre alt. Dort arbeitete er im Stall, lernte Jagen und Schießen. Abends gab ihm der Hausgeistliche Unterricht im Lesen und Schreiben. Mathias lernte leicht und gut, und der Pfarrer hatte gehofft, dass er es weiter als nur bis zum Stallburschen bringen würde. Doch dann war es zu einem Streit mit dem Gutsverwalter gekommen, der sich immer wieder über seinen kleinen Wuchs lustig gemacht hatte. Im Jähzorn war Mathias auf ihn losgegangen und hätte ihn wahrscheinlich umgebracht, wenn er nicht von einigen Knechten zurückgerissen worden wäre. Noch in der Nacht musste er das Gut verlassen. Er war nach Holland gegangen, wo die Söldnerheere der europäischen Fürsten versuchten, die Armeen der französischen Revolutionsregierung zurückzuschlagen. Mathias hatte sich anwerben lassen.

Januar – Oktober 1795
    Sein Reiseziel war die Schankstube eines Rossschlächters bei Aldekerke. Er verließ die Postkutsche in Kerken. Die restlichen Dukatenbeutel trug er unter seiner Uniformjacke, sein Brustkorb wirkte jetzt breit und stark.
    Mathias kannte den Weg nach Aldekerke. Sein Ziehonkel hatte ihm früher immer gesagt: »Wenn du einen Unterschlupf brauchst, dann geh zum Rossschlächter Karl Hasselt. Der hat immer Platz für unsereinen, wenn er bezahlen kann.«
    Das Wirtshaus und die Schlächterei lagen außerhalb des Ortes. Es war später Nachmittag, aber noch hell. Trotz der Kälte stand die Tür zum Schankraum weit offen. Sabine, die siebzehnjährige Tochter des Rossschlächters, kehrte den Dreck aus der Stube nach draußen in den Schnee. Sie sah den Soldaten auf den Hof kommen und stützte sich auf den Besen. Sie war nicht sehr groß. Ihr Haar hatte sie unter das Kopftuch gesteckt. Unter der Schürze trug sie einen dunkelblauen Wollrock. Dicke Strümpfe endeten in klobigen Holzschuhen.
    Mathias starrte auf ihr Wollhemd. Kleine, straffe Brüste zeichneten sich ab. »Ich heiße Mathias Weber.«
    Sabine sah ihn neugierig an. »Mich schickt der Scherenschleifer Franzis Gerards.« Sabine sagte nichts. Sie zeigte nur um den Besenstiel herum in die Schänke. Mathias nickte. Während er hineinging, winkte Sabine ihrem Vater und zeigte auf den neuen Gast. Die Schankstube war düster, und Mathias konnte nur wenig erkennen.
    »Woher kommst du?«, fragte Karl Hasselt.
    »Franzis Gerards schickt mich.«
    Der Rossschlächter sah ihn misstrauisch an und rief über die Schulter: »He, Franzis, hier will dich einer
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