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Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)

Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Tilman Röhrig
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nickte.
    Mathias nahm das Hemd und krallte die Hände in den roten Stoff.
    Kurz nach zehn Uhr eilte Anton Keil die knarrende Stiege des Gefängnisses hoch. Die Wände waren graugrün, feucht und rochen nach Moder. Die Zellentür stand offen. Nur noch mit der zerschlissenen Hose am Leib kniete Mathias jetzt vor dem Pater. Beide Hände zerrten an dem blutroten Hemd, er betete. Als er den öffentlichen Ankläger bemerkte, unterbrach er das Gebet und winkte ihm mit der Hand. Er zog ihn in eine Zellenecke. »Ich wollt … so wie Sie war überhaupt keiner.«
    Vor dem ›Kölner Hof‹ umdrängten die Schaulustigen den Blutkarren. Die Henkersknechte knallten mit den Peitschen, um die Neugierigen zurückzudrängen. Erst als die beiden berittenen Polizeioffiziere eintrafen, blieb die Menge in respektvoller Entfernung. Als Mathias mit dem roten Hemd bekleidet und den Händen auf dem Rücken gefesselt aus dem Haus geführt wurde, trat Stille ein. Pater Asterius half ihm auf den Karren und stellte sich neben ihn. Die beiden Knechte setzten sich auf den Kutschbock. Laut schnalzten sie, ruckend rollte der Wagen an. Das Pferd zog den Karren durch die Hohe Straße. Die großen Räder polterten über die ungleichen Pflastersteine. Sehnsüchtig schaute Mathias zu den Schaulustigen am Straßenrand. »Ach, ich möcht noch einen großen Bruch machen!«
    Pater Asterius war entsetzt.
    »Ja, ich möcht so viel holen, dass ich meine Tochter zu den Ursulinerinnen geben könnt, weil, beim Belz verkommt sie doch.«
    Der Pater ermahnte ihn, sich auf seinen letzten Gang vorzubereiten und sich zu sammeln.
    »Ach, lassen Sie mich, ich will noch mal Menschen sehen. Es ist das letzte Mal.«
    Plötzlich sackte ein Rad des Karrens in einen Spalt zwischen den groben Pflastersteinen. »Beeilt euch, ich will es hinter mich bringen!« Mathias beugte sich über den Rand zu den Knechten herunter. Sie versuchten, das Rad an den Speichen zu drehen. Die Pferde der Polizeioffiziere schnaubten ungeduldig. Hinter dem Karren drängten sich die Menschen zu einem dichten Zug. Endlich holperte der Wagen weiter. Die wartende Menge auf dem Alter Markt wich vor dem Blutkarren zur Seite. Die Frauen trugen schwarze Hauben und Tücher, die Männer schwarze Hüte und dunkle Schiffermützen.
    Dicht vor dem Gerüst hielten sie an. Die Henkersknechte reichten Mathias die Hände, um ihm vom Karren zu helfen. Er schüttelte den Kopf »Lasst mich noch einen Sprung machen!« Er stieß sich ab und landete direkt vor den Stufen der Guillotine. Mit offenem Mund starrte Mathias auf das Gerüst. Sein Atem wurde durch die Kälte sichtbar. Pater Asterius ergriff seinen Arm. Mathias riss sich los und bestieg die Plattform. Neugierig betrachtete er die beiden Schienen, zwischen denen das Messer herunterfallen würde. Jetzt war es noch nicht hochgezogen und unter einem Brett verborgen.
    »Nehmt das weg! Ich will alles sehen!«
    Einer der Knechte entfernte das Holz. Mathias sah stumm auf das blanke Eisen.
    »Willst du den Leuten noch etwas sagen?«
    Mathias nickte. Der Alter Markt war schwarz von Menschen. Einige Jungen saßen auf den Buden, andere hingen auf Dachsimsen der engen, hohen Häuser. Alle Fenster waren geöffnet, die Menschen drängten die Köpfe übereinander und gafften.
    Mathias reckte sich.
    »Ich hab den Tod hundertmal verdient. Ihr Eltern, achtet auf eure Kinder! Lasst sie nicht in die Wirtshäuser! Nicht in die Bordelle! Die sind schuld!«
    Er wandte sich an die Henkersknechte. »Los jetzt!«
    Sie banden ihn auf das Brett. Das Messer wurde hochgezogen. Dann schoben sie ihn unter die Guillotine. Pater Asterius betete vor, und Mathias antwortete: »Vater, in deine Hände …«, dann fiel das Messer.
    Einige Frauen schluchzten und schrien, und die Männer nahmen die schwarzen Hüte von ihren Köpfen.
    Um zwölf ging Christine langsam durch die Markmannsgasse. Sie trug den schweren Korb, und Tränen rollten ihr über die Wangen. Die Anlegestelle der ›Fliegenden Brücke‹ war fast menschenleer. Nur zwei Bauern dirigierten unter lautem Schreien ein Ochsengespann auf die Fähre. Sie achteten nicht auf die schmale Frau, die sich dicht an die Taue stellte. Langsam legte die Fähre vom Kölner Ufer ab. Christine stand und starrte in das trübe Wasser, sie umklammerte die schwere Last mit beiden Händen.
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