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Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)

Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Tilman Röhrig
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Weg des Karrens bis Mainz und bestaunten den großen Räuber.
    Johann Bückler wurde sofort dem Direktor der Geschworenen vorgeführt und kurz darauf dem Spezialgericht zum Verhör übergeben.
    Sie sperrten Mathias in den Holzturm von Mainz. Anton Keil hatte seine Überführung nach Köln für den 23.   Juni angeordnet. Zusammen mit einem anderen Häftling war Mathias im vierten Stock des Turms an die Wand gekettet worden. Die Ketten reichten bis zum Abtritt, aber nicht bis zur Tür.

Juni – September 1802
    Am zweiten Tag brachte der Wärter den beiden Gefangenen ihre tägliche Brotration. Mathias fand in seinem Stück eine zur Säge geschliffene Messerklinge. »Die war wohl für den Hannes bestimmt.« Er grinste.
    »Ich nehm dich mit!«, versprach er dem Mitgefangenen. »Verrat uns nicht!«
    In der folgenden Nacht sägte Mathias seine Kette durch. Sofort kroch er zum Abtritt und löste mit der Klinge die morschen Bretter. Eine Röhre führte dicht unter dem Zellenboden schräg durch die Turmmauer ins Freie. »Ich komme wieder«, flüsterte Mathias dem anderen zu und zwängte sich mit dem Kopf voran in den engen Schacht. Dann hing er mit dem Oberkörper halb aus dem Mauerloch heraus. Links unter sich sah er das flache Dach des angrenzenden Gebäudes, mit einem kleinen Sprung wäre er in Freiheit gewesen. Aber Mathias kroch in dem Schacht zurück und stemmte sich langsam wieder bis in die Zelle. Er stank und war mit Kot beschmiert. »Wir schaffen es.« Er lachte leise.
    Die Klinge war stumpf geworden. Mathias sägte an den Kettengliedern des Mitgefangenen bis zum Morgengrauen. »Wir gehn nächste Nacht.« Er legte die gelösten Bretter wieder um den Abtritt und wischte sich mit seiner Jacke das Gesicht sauber. Bevor der Wärter die Zelle überprüfte, saß Mathias wieder an der Wand und hielt die Kette fest in der Hand.
    Am Mittag desselben Tages wurden drei weitere Gefangene in den vierten Stock des Holzturms gebracht. Mathias musste seinen Fluchtplan aufgeben, weil die drei Neuen drohten, ihn zu verraten.
    Um drei Uhr, am Morgen des 23.   Juni, holten vier Gendarmen Mathias aus seiner Zelle, sie stießen ihm einen Gewehrkolben in den Leib, als sie die durchgesägte Kette fanden. Seine Hände wurden mit einem Strick gefesselt. Dann trieben sie ihn vor ihren Gewehren bis zum Rhein herunter. Hier bestieg die kleine Gruppe ein Militärboot und legte ab. Mathias rieb den Strick an der rauen Bootskante, und als sie in Koblenz an Land gingen, hatte er seine Hände wieder befreit. Zwei Gendarmen gingen dicht neben ihm. Mathias gab dem Soldaten an seiner rechten Seite einen Tritt und stürzte davon. Durch den heftigen Stoß war sein Fuß halb aus dem Schuh gerutscht. Er stolperte schon nach einigen Metern und wurde von den Gendarmen überwältigt. Sie legten ihm wieder Hand- und Fußketten an. ›Ich hab einfach kein Glück mehr‹, dachte Mathias. Er war jetzt vierundzwanzig Jahre alt.
    Am Mittag des 25.   Juni schloss der Lohnwächter des Kölner Untersuchungsgefängnisses die Tür zu seiner Zelle auf. Die Gendarmen warteten, bis Mathias an die Wandketten angeschlossen war. Erst dann entspannten sie die Hähne ihrer Gewehre.
    Im September beendete Anton Keil seine große Rundreise durch die Gefängnisse der Grenzstädte. Er hatte den ganzen August damit verbringen müssen, den Schinderhannes in Mainz zu verhören. Oft hatte er angeekelt von der Unterwürfigkeit und Feigheit des Johann Bückler das Verhörzimmer verlassen. Ohne Erbarmen hatte er den Mainzer Richtern empfohlen, den berüchtigten Schinderhannes abzuurteilen, dann waren er und Diepenbach mit dem Schiff nach Köln zurückgereist.

10.–18.   September 1802
    Am Nachmittag des 10.   September betrat Anton Keil den ›Kölner Hof‹. Die beiden Lohnwächter vor dem Westflügel begrüßten ihn ehrfürchtig. Der öffentliche Ankläger blieb stehen. »Ihr bekommt jeder einen Golddukaten extra, wenn ihr den Fetzer so gut bewacht, dass er nicht fliehen kann.«
    Die beiden Männer fassten ihre langen Gewehre fester und nickten. Einen Golddukaten! Sie würden während der Dienststunden nicht mehr Karten spielen.
    Der Ankläger ließ das Gittertor im unteren Flur öffnen. »Verriegle das Schloss zweimal, solang der Fetzer hier ist! Am Tag seiner Hinrichtung bekommst du einen Golddukaten extra.«
    Der alte Schließer ergriff die Hand des öffentlichen Anklägers, er wollte sie an seine Lippen pressen.
    »Lass das, ich bin doch kein Priester!«
    Der Gang war eng
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