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Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Titel: Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909
Autoren: Walloth
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1.
    »Wie dem nun auch sei, Tatsache ist, du hast die Dame besucht. Ich verbiete dir hiermit den Umgang mit dieser – Emma Dorn,« sagte der Gymnasialdirektor Adolf Körn zu seinem 19jährigen Sohn Karl in seinem strengsten Schultyrannenton. »Ich weiß zwar, du wirst doch hingehen, – aber ich verbiete dir den Umgang mit der Schriftstellerin Emma Dorn.«
    Wie ein tragischer Schauspieler deklamierte er in seiner grandiosen Manier, der kleine zierliche Mann, und schritt im Zimmer einher, genau wie er es in der Schulstube tat, wenn ein »großer Fall« seine Beredsamkeit weckte. Er spielte vornehm mit der linken Hand an seiner goldnen auf weißer Weste ruhenden Uhrkette, während die Rechte nachlässig-graziös seinen Worten tiefere Wucht zu geben bemüht war. Man sah ihm an, wie er in seiner eignen professoralen Würde schwamm, wie er seine eigne Größe kostete. Sein Anzug war ganz modern. Er ging jedes Jahr auf vier Wochen nach Paris, angeblich, um seine Aussprache zu verbessern. Seine Feinde sagten: er verbessere diese Sprachtalente dort oft in sehr »besserungsbedürftigen« Lokalen. Jedenfalls kleidete er sich sehr elegant: helle Hose, weiße Weste, schwarzer Rock. Sein ganzes Wesen machte den Eindruck des Jugendlichen, er suchte Schillerschen Idealismus zu vereinigen mit französischer Verve! Seine Züge waren immer noch hübsch, und ein lebhaftes schwarzes Auge deutete auf Temperament.
    Karl saß mit trotzig aufeinandergepreßten Lippen, düsteren Blicken und gerunzelter Stirn vor dem Vater und lauschte mismutig auf dessen litterarisch-moralische Abhandlung, die ein wahres Wunderwerk war in jener Kunst: mit möglichst viel hochtrabenden Redensarten, möglichst wenig zu sagen. Immer kehrten die Lieblingsphrasen des Direktors wieder: wie dem nun auch sei – Tatsache ist die – es ist nicht in Abrede zu stellen u. s. w. Es machte den Eindruck, als ob der kleine, zierliche Mann um so mehr durch die Wucht seiner Beredsamkeit imponieren wollte, je weniger er durch sein Äußeres imponieren konnte.
    »Aber warum soll ich denn Fräulein Emma Dorn nicht besuchen?« fragte Karl, dessen 20jährige Gesichtszüge schon einen gewissen unjugendlichen, professoralen Ausdruck trugen. »Sie ist eine bekannte Schriftstellerin, – ich lerne viel bei ihr, sie kann mich guten Verlegern empfehlen . . .«.
    »Eben das will man nicht!« deklamierte der Direktor. Das Wörtchen ›man‹ wendete er so häufig an, daß er in der Schule den Spitznamen der ›man‹ erhalten hatte. »Man weiß, was junge Leute dort lernen; sie ist eines jener emanzipierten Frauenzimmer, die sittenverderbend wirken . . .«
    »Ich muß das doch in Abrede stellen,« fuhr Karl auf. »Fräulein Dorn hat nie meine Sitten verdorben.«
    »Sie könnte es aber. Wie dem nun auch sei, – sie schreibt für das hiesige Vorstadtblatt Theaterkritiken, das Blatt ist sozialistisch angehaucht! Sie schwelgt in diesem schändlichen Naturalismus; man haßt das Ideale in der Kunst . . .«
    »Das ist nicht wahr,« platzte der Sohn heraus. »Sie hat überhaupt kein bestimmtes litterarisches Programm; für sie gibt es nur gute und schlechte Kunstwerke.«
    »Wie dem nun auch sei, – es paßt mir nicht, daß du zu ihr gehst. Man spricht in der ganzen Vorstadt zu viel von der Dame . . . . von ihrem Lebenswandel: man soll rauchen, man soll sogar schon Männerkleider getragen haben! man lebt da mit einer Freundin zusammen, man soll auch dem Trunk ergeben sein.«
    »Unsinn! Vorstadtgeklatsch! Das Fräulein Luise, das bei ihr wohnt, ist Klavierlehrerin; sehr anständig, sehr gebildet, – wenn auch arm. Hier . . . hier . . . ist übrigens das Bild der beiden Damen,« setzte Karl mit jugendlichem Verteidigungseifer hinzu, eine Kabinetsphotographie aus der inneren Rocktasche hastig hervorsuchend. »Ist der Ausdruck eines dieser Köpfe etwa unmoralisch? satanisch? lasterhaft?«
    »Was?« rief der Direktor streng, »man besitzt sogar die Photographie der Damen?«
    »Ja,« verteidigte der Jüngling mit naivem Übereifer seine Heldinnen, »man besitzt die Photographie . . .«
    Dies ›man‹, das dem Sohn unwillkürlich entschlüpft war, trug ihm zunächst einen misbilligenden väterlichen Blick ein. Doch griff der gestrenge Pädagog nichts desto weniger neugierig nach dem Bild. Die beiden Köpfe überraschten ihn. Emmas Gesicht trug jenen dämonischen Ausdruck einer gewissen ›wilden‹ Schönheit, der an südfranzösische Leidenschaftlichkeit und Geist
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