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Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Titel: Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909
Autoren: Walloth
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rohen Ton abgefaßt, daß ich die Sache meinem Rechtsanwalt übergeben habe und Sie sich auf eine Beleidigungsanklage gefaßt machen müssen.
    Dr. Georg Simmer.
    »Dr. Simmer?« rief der Direktor, dem das Blut in die Stirn schoß, »Dr. Simmer? dein Religionslehrer?«
    »Ich wußt nicht,« verteidigte sich der Jüngling hastig, »daß unter diesem Märzler – Dr. Simmer verborgen ist.«
    »Du hast also,« schrie Körn wütend, »die Gedichte deines Lehrers angegriffen! Und zwar jedenfalls in einer Weise angegriffen, die eine Beleidigungsklage rechtfertigt?«
    »Konnt ich wissen,« rief, am ganzen Körper zitternd, der junge Mann, »daß mein Religionslehrer so schlechte Verse in die Welt setzt?«
    Der Direktor schritt wie ein gefangner Löwe im Zimmer einher, pustend, schnaubend, wobei er aber stets die äußere Eleganz wahrte und immer nachlässig mit der goldnen Uhrkette spielte.
    »Schöne Geschichte, das!« polterte er grimmig vor sich hin. »Wahrlich, nette Verwicklung! Dr. Simmer weiß noch gar nicht, daß sein eigner Schüler, mein Filius! ihn beleidigt . . . öffentlich an den Pranger gestellt . . .! Wahrhaftig, du baust vortrefflich an deinem Lebensglück. Was soll aus dir mal werden? Ein Journalist? Ein Federlump? Ein verhungerter Dachstubenpoet? Denn das sag ich dir: Ich mische mich nicht in diese Sache . . . mit keinem Wort! Du hast dir die Suppe eingebrockt; tunke nur sie selbst aus! Fällt mir nicht ein, für dich die Kastanien aus dem Feuer zu holen! schon aus Prinzip nicht! Der Sohn des Direktors muß noch weit strenger und parteiloser behandelt werden, als ein anderer Schüler. Von mir erfährt Dr. Simmer gar nichts. Er soll dich nur verklagen. Dann aber . . . fliegst du sofort aus der Schule, sofort! Ha ha! ein halbes Jahr vor Maturitas – aus dem Gymnasium; – sehr gut! Dann schmier an einer Zeitung – Leitartikel! Dr. Simmer wird und soll dich verklagen. Ich bitte ihn sogar darum; ja, ich bitte ihn darum, hörst du? Denke nur nicht, ich lege mich als Direktor ins Mittel. O nein! keineswegs! Und jetzt . . . hole mir die Kritik. Hast du sie noch?«
    »Ja . . .«
    »Also, bring sie . . .«
    Karl verließ mit sehr niedergeschlagenem Ausdruck auf dem vorzeitig gealterten, wenn auch zarten Gesicht, das Studierzimmer und begab sich auf sein kleines, nach dem Hof hinaus gelegenes Zimmerchen. Dort saß er einige Zeit an dem beim Fenster stehenden Tisch, der mit Büchern und Heften bedeckt war und starrte mit seinem neuropathischen Blick hinaus auf den kleinen Hausgarten, dessen Bäume bereits, vom Herbstwind geschüttelt, ihre Blätter verloren. Durch den gelbroten Blättervorhang herüber glänzten die breiten Fenster der Erhardtschen Druckerei. Hinter den Scheiben hantierten die Setzer vor den Setzkästen, grünlich verschwommen schimmerten Gesichter, Arme, Hände durch das Glas. Links an der äußeren Hauswand puffte und paffte ein Dampfrohr; ewig hing dort eine weiße Dampfwolke wie ein großer Wattbündel, den der Wind beständig in Fetzen um die Hausecke riß. Karl versenkte sich in den Anblick der sonderbar gestalteten Dampfschleier . . . . . Unbestimmte, nicht zu Ende gedachte Gedanken rief der Anblick dieser immer vom Wind zersausten Wolke in ihm wach . . . Doch, das kann jeder denken, sagte er sich, das ist nichts für dein Tagebuch. – Jeder Schulmeister wird diese Rauchwolke mit dem Menschenleben vergleichen . . . sogar Dr. Georg Simmer . . . Ja so! ich soll ja die »Literarische Wacht« suchen! . . . Welches Mißgeschick! sann er weiter; ich zerreiße die Geistesprodukte meines Lehrers! Warum schreibt er solchen Blödsinn? Er kramte unter den Heften und zog schließlich eine gelb eingebundne Broschüre hervor. Nebenan lag auch sein geliebtes Tagebuch.
    Doch war jetzt keine Zeit mehr, darin zu blättern. Die Schulstunden riefen. Rasch packte er seine Bücher zusammen, im Innersten fest entschlossen, dem Gebot des Vaters zu trotzen und gleich nach Schulschluß Fräulein Emma Dorn aufzusuchen. »Du wirst zwar doch hingehen, ich verbiete dirs aber!« Daß aber der Vater Ernst machen würde mit seiner Drohung, ihn aus der Schule zu weisen, wenn eine Anklage erfolgte, daß wußte er. Der Vater zeigte ihm ja stets nur den Pädagogen, nie den Vater!
    Nun ging er nach dem Wohnzimmer – als er so mit den Büchern unterm Arm erhobenen Haupts über den Flur schritt, sah er aus wie ein Professor
en miniature
. Geistiger Hochmut, der jedoch durch Schwärmerei veredelt
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