Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Titel: Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909
Autoren: Walloth
Vom Netzwerk:
wurde, sprach aus diesen jugendlichen Greisenzügen. Eigentümlicher Weise bildete sich bei ihm unterm Kinn hervor ein leichter Bartflaum, der seinem Gesicht nun erst recht den Charakter des Frühreifen verlieh.
    Der Direktor hatte indessen in sehr übler Laune sich zum Ausgehen zurecht gemacht. Diese schlechte Laune verstärkte sich, als er seine Frau Katharina im rotgeblümten Hauskleid am Schreibtisch sitzen sah.
    »Der Kaffee,« sagte er, »war heute wieder miserabel.«
    »Sag das dem Dienstmädchen,« gab die starkknochige Frau ohne aufzusehen zurück, »und stör mich nicht.«
    »In aller Frühe schon vorm Pult!« schimpfte er weiter. »Natürlich, da muß die Haushaltung zu Grund gehen. Wie oft hab ich dir schon gesagt, daß bei deinen Götheforschungen absolut nichts herauskommt.«
    »Das kannst du noch so oft sagen, als du willst.«
    »Das ist krankhaft bei dir. Dr. Müller sagt das auch. Du hast ja gar nicht die nötige Vorbildung, um solche Forschungen zu treiben.«
    Die Frau Direktor fuhr mit wutverzerrtem Gesicht empor.
    »Natürlich,« versetzte sie giftig, »nur die Herren Gelehrten dürfen sich wissenschaftlich beschäftigen. Alle anderen Menschen sind Dummköpfe.«
    »Das behaupt ich nicht,« gab er immer gereizter zurück. »Ich kenne aber doch deinen Bildungsgang und weiß, daß du absolut unfähig bist, wissenschaftliche Forschungen anzustellen. Deine Schreibereien verschlingen viel Geld, alle Augenblicke mußt du bald nach Wetzlar, bald nach Weimar reisen, mußt bald die Kirchenschwelle photographieren, über die Göthe mal geschritten, bald jene wurmstichige Bettlage besichtigen, in der er mal eine Nacht geschlafen haben soll. Und was bringt das alles für einen Nutzen? Du stellst im besten Fall ein paar gänzlich unwichtige Kleinigkeiten fest, die zum Verständnis der Götheschen Geistesgröße ganz ohne Belang sind.«
    »Das ist nicht wahr!« verteidigte sie ihren allerdings ans Pathologische grenzenden Forschungseifer. »Es handelt sich um eine sehr wichtige Frage. Ich bin dem echten, wahren Mädchen auf der Spur, das Göthe beim »Gretchen« zum Modell gedient hat.«
    »Das weiß man ja längst,« wendete er resigniert ein.
    »Nichts weiß man,« rief sie mit glühenden Wangen. »Alle tappen im Finstern, – ich allein bin dem echten Modell auf der Spur gekommen. Ich sag dir: es gibt eine Umwälzung, eine völlige Umgestaltung in der Beurteilung Göthes . . .«
    Er seufzte verzweiflungsvoll auf. »Meinetwegen,« jammerte er. »Mit Karl ists auch nicht mehr auszuhalten. Da hat er seinen eignen Lehrer, den Dr. Simmer, öffentlich angegriffen, diesen eiteln, ehrgeizigen Theologen.«
    Sie erkundigte sich. Er teilte ihr den Sachverhalt mit und schloß: »Ich rühr keinen Finger in der Sache. Er mag ihn verklagen! Dann fliegt er aus der Schule, – seine Schriftstellern verbiet ich ihm! – und dir die deinige auch. Ist das eine Haushaltung? Wann bekomm ich mal was Vernünftiges zu essen? Und nie zur rechten Zeit! Und dabei sparst du am unrechten Ort: das Brot wird schimmlig, die Butter ranzig, die Wurst wird aufgehoben bis kein Hund sie mehr frißt. Und was ist denn das?« setzte er zornig hinzu, sich nach der linken Stubenecke wendend, in der zwei dicke in Zeitungspapier gehüllte Pakete standen. Er riß die Zeitungshülle hinweg, – harmlose Regenschirme blickten ihm entgegen und seine Frau beeilte sich, ihn mit siegesgewisser Miene aufzuklären: »Ja, Regenschirme, die ich sehr billig bei Tietz gekauft . . .«
    »Ja,« schrie Körn wütend, »wie viel sind denn das? Eins, zwei, drei, vier . . . zwei Dutzend? vierundzwanzig Regenschirme?!«
    Mit größter Seelenruhe und großem Stolz auf ihre ökonomischen Talente setzte ihm Katharina auseinander, daß dies ein sehr vorteilhafter Gelegenheitskauf sei. Die Regenschirme werden immer teurer; in M . . . regne es stets . . . der Herbst sei im Anzug . . . nun sei die Familie gleich fürs ganze Leben mit Regenschirmen versorgt.
    »Vierundzwanzig Regenschirme?!« tobte der Direktor, bleich vor Wut . . . . »Bist du verrückt? So wirfst du das Geld zum Fenster hinaus? 24 Regenschirme! Das soll Dr. Müller hören, – ob das noch vernünftig ist! 24 Regenschirme auf einmal!«
    Katharina schrieb ruhig weiter. Ihr Gatte stürzte ins Schlafzimmer, riß seinen Ueberzieher vom Nagel und kam, den Cylinder auf dem Kopf (er ging stets im Cylinder), elegant wie ein Pariser Stutzer, wieder ins Wohnzimmer. Die gute Gelegenheit, seine Eloquenz
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher