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Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)

Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Tilman Röhrig
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öffentliche Ankläger las und sah wieder auf Mathias. »Zieh dich aus!«
    Mathias bewegte sich nicht, er spürte, wie er zitterte. Langsam ballte er die Hände zu Fäusten. Der öffentliche Ankläger gab den Wachsoldaten ein Zeichen. »Reißt ihm die Kleider vom Leib«, sagte er ruhig.
    Die Wachen ergriffen die Arme des Gefangenen. Mathias schrie: »Lasst mich los! Ich zieh mich selbst aus.«
    Anton Keil nickte, und die Soldaten traten zurück. Mathias hob die Hände, die Kette behinderte ihn. Mühsam streifte er die Jacke und das Hemd über den Kopf, sie rutschten ihm bis auf die Unterarme. Die Spuren der Krankheit hatten seine schmale Brust gezeichnet. Der öffentliche Ankläger betrachtete die blutroten Geschwürnarben an seinem Hals. »Streif deine Hose runter!« Mathias biss sich auf die Lippen. Er nestelte den Gürtel auf Die Geschwulste an seinen Oberschenkeln waren nicht ganz verheilt, sie hatten sich durch die langen Märsche immer wieder entzündet. Der öffentliche Ankläger sagte: »Du hast die Lustseuche. Die Huren der Düwels Trück haben deine Geschwüre beschrieben. Du bist Mathias Weber. Du bist der Fetzer.«
    Mathias kleidete sich wieder an.
    »Du bist der Fetzer!«, wiederholte der öffentliche Ankläger.
    Mathias nickte stumm.
    In der Zelle wurde der Gefangene nicht mehr von den Eisenfesseln befreit. Der Amtmann überwachte selbst, wie die Soldaten ihm eine dritte Kette anlegten, mit der seine Hände dicht an die Füße gezerrt wurden.
    In dieser Nacht schlief Mathias nicht. Er wiegte seinen Kopf unruhig vor und zurück, er dachte an seine Tochter, und die weiten Nasenflügel zuckten.
    Noch vor Sonnenaufgang wurde er aus dem Turm geführt. Man hatte ihm die dritte Kette wieder abgenommen. Neben der schwarzen Kutsche warteten der öffentliche Ankläger und sein Sekretär. Ein Soldat zerrte den Gefangenen auf eine der Polsterbänke im Wageninnern und setzte sich neben ihn. Erst jetzt stiegen Anton Keil und Diepenbach ein und nahmen gegenüber Platz.
    Während der Fahrt nach Frankfurt wurde in der Kutsche nicht gesprochen. Der öffentliche Ankläger rauchte und studierte die Steckbriefe des Johann Bückler und seiner Kumpane. Diepenbach starrte unverwandt auf den kleinen Gefangenen. Mathias hatte die Augen geschlossen, er hörte das Rumpeln der Räder. Der Wachsoldat genoss die Reise in der vornehmen Kutsche.
    Vor dem Frankfurter Kriminalgericht stand ein langer Leiterwagen. Auf dem Karren waren vier Männer an die Querbalken gekettet. Zwei Frauen saßen mit ihren Kindern neben den Gefesselten. Die eine klammerte sich an die Schulter eines großen, bärtigen Gefangenen. Der Schwarze Jonas strich seinem blonden Sohn tröstend über die Haare.
    Die andere Frau presste ein kleines Mädchen an sich. Sie saß neben dem Hauptgefangenen, dem auch noch die Füße an eine Strebe gekettet waren.
    Es war vier Uhr morgens. Der Platz vor dem Kriminalgericht war von einem Trupp Soldaten und einigen französischen Gendarmen bewacht. Drei Offiziere schrien heiser ihre Befehle.
    Mathias wurde aus der Kutsche gezogen und auf dem Wagen angekettet. Neben ihm saß ein Mann, dessen Gesicht vor Angst verzerrt war. Rechts vor ihm saß der Schinderhannes. Er flüsterte immer wieder: »Ich will nicht zu den Franzosen. Habt Erbarmen!« Seine Tochter und der Sohn des Schwarzen Jonas weinten, die beiden Frauen beteten.
    Johann Bückler wandte sich zu dem kleinen Räuber um. »Ich bin der Schinderhannes. Wer bist du?«
    »Der Fetzer.«
    »Vom Rhein? Ich hab schon viel von dir gehört. Der Heckmann und der Weyers waren bei mir.«
    Mathias fragte überrascht: »Wo sind die?«
    Johann Bückler stockte, dann jammerte er: »Der Heckmann ist in Köln hingerichtet worden. Der Weyers muss für immer ins Bergwerk.« Er seufzte. »Ich will nicht zu den Franzosen!«
    Mathias schwieg, er blickte auf die schwarze Kutsche. Er sah das Gesicht des öffentlichen Anklägers hinter der Scheibe.
    Während der Fahrt blieb das Rad des Leiterwagens in einem Loch stecken. »Siehst du, Hannes, so bleibt unser Leben auch stecken.« Mathias lachte.
    Der Schinderhannes starrte entsetzt auf den kleinen Räuber. »Nein, ich werd nur acht Jahre auf die Galeere müssen. Mehr können sie mir nicht geben!«
    »Aufhängen werden sie uns.«
    »Halt dein Maul, Fetzer!«, rief der Räuber aus dem Soonwald.
    In Kastel fuhr der Transport über den Rhein. Die Gefangennahme des berüchtigten Schinderhannes hatte die Menschen auf die Straße getrieben. Sie säumten den
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