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Die Fünf Tore 1 - Todeskreis

Titel: Die Fünf Tore 1 - Todeskreis
Autoren: Anthony Horowitz
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DAS LAGERHAUS
     
    Matt wusste, dass es ein Fehler war.
    Er saß auf einer niedrigen Mauer vor dem Bahnhof von Ipswich. Es war sechs Uhr abends, und der Pendlerzug aus London war gerade angekommen. Hinter ihm strömten die Fahrgäste aus dem Bahnhof. Auf dem Vorplatz wimmelte es von Autos, Taxis und Fußgängern. Die Ampel sprang von Rot auf Grün, aber der Verkehr kam trotzdem nicht voran. Irgendjemand drückte auf die Hupe, und das nervtötende Geräusch hallte durch die feuchte Abendluft. Matt schaute kurz auf. Aber im Grunde waren ihm die Menschenmassen gleichgültig. Er gehörte nicht zu ihnen. Er hatte nie zu ihnen gehört, und manchmal glaubte er, dass das auch nie der Fall sein würde.
    Zwei Männer mit Regenschirmen hasteten vorbei und warfen Matt missbilligende Blicke zu, als hielten sie ihn für einen Schwerverbrecher. Die Art, wie er dasaß – breitbeinig und mit krummem Rücken –, in einem grauen Kapuzensweatshirt, einer formlosen Jeans und Turnschuhen mit ausgefransten Schnürsenkeln, ließ ihn irgendwie älter und gefährlicher als vierzehn wirken. Er hatte breite Schultern, einen kräftigen Körper und leuchtend blaue intelligente Augen. Seine schwarzen Haare waren sehr kurz geschnitten. Man konnte sich gut vorstellen, dass er in fünf Jahren entweder Fußballspieler oder Model sein würde – oder auch beides.
    Sein Vorname war Matthew, aber er selbst nannte sich immer nur Matt. Seit sein Leben aus den Fugen geraten war, hatte er auch seinen Nachnamen immer seltener erwähnt, bis er irgendwann gar nicht mehr richtig zu ihm zu gehören schien. Freeman war der Name, der im Schulregister und auf der Schulschwänzerliste stand und unter dem er beim Jugendamt bekannt war. Aber Matthew schrieb ihn nie auf und nannte ihn nur selten. Matt reichte vollkommen. Der Name passte zu ihm. Schließlich traten sich seit er sich erinnern konnte die Leute die Füße an ihm ab wie an einer Fußmatte.
    Er beobachtete, wie die beiden Männer mit den Regenschirmen die Brücke überquerten und in Richtung Stadtzentrum verschwanden. Matt war nicht in Ipswich geboren. Man hatte ihn hierhergeschleppt, und er hasste den Ort. Es war nicht einmal eine richtige Stadt – dafür war es zu klein. Wenn es wenigstens den Charme eines Dorfs oder Marktfleckens gehabt hätte. Aber nein, Ipswich war im Grunde nur ein riesiges Einkaufszentrum mit denselben Geschäften und Supermärkten, die es überall gab. Man konnte ins öffentliche Schwimmbad gehen oder sich einen Film im Multiplex-Kino ansehen, und für die, die es sich leisten konnten, gab es auch einen künstlichen Skihang und eine Kartbahn. Und das war es auch schon. Das Kaff hatte nicht einmal eine anständige Fußballmannschaft.
    Matt hatte gerade mal drei Pfund in der Tasche, die er auf seiner Zeitungstour verdient hatte. Zu Hause hatte er weitere zwanzig Pfund, versteckt in einer Dose unter seinem Bett. Er brauchte Geld aus demselben Grund wie jeder andere Teenager in Ipswich auch: nicht nur, weil seine Turnschuhe auseinanderfielen und seine Computerspiele hoffnungslos veraltet waren. Geld war Macht. Geld bedeutete Unabhängigkeit. Matt hatte weder das eine noch das andere, und er war an diesem Abend hier, um es sich zu beschaffen.
    Doch er bedauerte längst, dass er sich darauf eingelassen hatte. Es war falsch. Es war idiotisch. Warum hatte er nur Ja gesagt?
    Er sah auf seine Uhr. Zehn nach sechs. Sie waren für Viertel vor verabredet gewesen. Er hatte lange genug gewartet. Matt sprang von der Mauer und ging auf den Ausgang zu. Doch schon nach wenigen Schritten tauchte ein älterer Junge wie aus dem Nichts auf und versperrte ihm den Weg.
    »Du gehst schon, Matt?«, fragte er.
    »Ich dachte, du kommst nicht mehr«, antwortete Matt.
    »Wieso denn das?«
    Weil du fast eine halbe Stunde Verspätung hast. Weil mir kalt ist. Weil auf dich noch nie Verlass war . Das alles hätte Matt gern gesagt, doch die Worte kamen nicht. Also zuckte er nur mit den Achseln.
    Der andere Junge lächelte. Sein Name war Kelvin, und er war siebzehn, groß und dünn mit blonden Haaren, heller Haut und unzähligen Pickeln. Er trug teure Designerjeans und eine weiche Lederjacke. Auch als er noch zur Schule gegangen war, hatte Kelvin immer die besten Klamotten gehabt.
    »Ich wurde aufgehalten«, sagte er.
    Matt sagte nichts.
    »Du willst doch nicht aussteigen, oder?«
    »Nein.«
    »Sei ganz cool, Matt. Das wird ein Spaziergang. Charlie hat mir erzählt …«
    Charlie war Kelvins großer Bruder. Matt hatte
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