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Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman

Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman

Titel: Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman
Autoren: Haymon
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eingehüllt in Broadway-Glanz, davon.

10
    Herrn Faustinis Zug fuhr über die Rheinbrücke, unten an der Schiffsanlegestelle sah Herr Faustini sich selbst als winkenden Zwerg.
    Ihm war nicht nach Gegenwart zumute, er würde sich willenlos vom Zug ans Ende der Republik karren und dort in einer Remise abstellen lassen, ihm war egal, was jetzt noch geschehen mochte. Aber es gab keinen Sitzplatz, und so landete er im Speisewagen, der hier Bordrestaurant hieß – Kleinbahnspezialist Emil würde über diesem Wort ein trauriges Gesicht machen –, und zwischen einer schwergewichtigen Frau mit Sonnenbrille und einem jungen Mann mit Kopfhörern auf den Ohren war ein Platz frei. Herr Faustini fragte höflich, die Frau hielt einen Augenblick mit dem Zerkauen eines zellophanverpackten Kuchens inne und nickte. Herr Faustini rutschte schmal und ohne Luftverdrängung auf die Sitzbank. Die Frau aß weiter. Der Junge neben ihm war unter einem Trommelwirbel aus den Kopfhörern verschwunden. Vor ihm stand ein Mineralwasser. Herr Faustini machte der Bedienung hinter der Theke ein kleines Zeichen. Er sagte nicht Fräulein, wie er es zu Hause getan hätte. Der strafende Blick der Wirtin in Edenkoben war Zeichen genug gewesen. Also nicht Fräulein. Er wollte aber auch nicht Bedienung sagen, schon gar nicht über den Gang hinüberrufen, vorbei an den zwei Biertrinkern am Tisch gegenüber. Vor ihnen lag die BILD mit dem Foto eines Fußballstars: ROMEO (3) MIT 42 GRAD FIEBER IN KLINIK. BECKHAMS KLEINER SOHN IN LEBENSGEFAHR!
    Etwas kleiner darunter: Weltkarte der Angst: Wo kann ich nach den Anschlägen noch sicher Urlaub machen?
    Es lohnte sich also nicht, in die Gegenwart zurückzukehren, denn offenbar hielt sich niemand in ihr auf. Jeder suchte sich seinen eigenen Fluchtweg.
    Mit einem Mal schien Herrn Faustini die Luft im Bordrestaurant spärlicher, das Licht düsterer, der Gang zwischen seiner Sitzbank und der Theke breiter zu sein. Die BILD tauchte ihre beiden biertrinkenden Leser in ein eigenes trübes Licht.
    Herr Faustini begriff, dass es keinen Sinn hatte, über den Ganggraben hinweg zu gestikulieren. Hier war Selbstbedienung. Er schob sich daher, nicht ohne ihr vorher ein Zeichen gegeben zu haben, an seiner Nachbarin vorbei von der Bank, querte den Gang, trat an die Theke und wartete, bis die Bedienung ihn ansah.
    Einen Pfefferminztee bitte, sagte Herr Faustini.
    Hamwa nich, meinte die Bedienung und starrte an ihm vorbei ins Leere. Wir ham Schwarztee, Hagebutten und Kamille.
    Herr Faustini balancierte seinen Kamillentee zurück zu seiner Bank, stellte ihn auf den Tisch und schob sich wieder an der Sonnenbrillenträgerin vorbei.
    Der Geruch des Kamillentees verbreitete sich. Einer der beiden Biertrinker sah von der BILD auf und warf ihm einen Blick zu, den Herr Faustini nicht recht deuten konnte. Er meinte darin jedoch die Spur eines Vorwurfs zu sehen. Warum konnte Herr Faustini kein normales Getränk zu sich nehmen, wie es die Leser der BILD taten. Wollte er mit seinem Kamillentee etwa Mitleid heischen? Da war er bei den BILD -Lesern an die Falschen geraten. Mitleid war nichts für den BILD -Leser. Dieser sprach aus, was gesagt sein musste. Zum Beispiel, dass das Boot voll ist. Dass Ausländer rausmüssen. Dass Deutschland nicht Kurdistan ist usw.
    Herr Faustini hörte Sätze wie diese im Kopf des Biertrinkers kreisen, aber da der in Herrn Faustini keinen angemessenen Gesprächspartner gefunden hatte, behielt er seine Sätze für sich. Sie würden so lange kreisen, bis sie wehtaten. Dann war hoffentlich der rechte Gesprächspartner zur Stelle. Die Bedienung hinter der Theke sah aus, als hätte sie stumme und weniger stumme Redner wie diesen ausgiebig kennenlernen dürfen. Nein, Herr Faustini würde eine Frau wie sie nie mit Fräulein ansprechen.
    Umsteigen in Mannheim. Wieder ging es über den Rhein, es schien, als stehe das Wasser still. In Neustadt an der Weinstraße bestieg Herr Faustini den Bummelzug. Er sah sich um, ob vielleicht auf einer der Sitzbänke der Kleinbahnspezialist Emil saß. Möglich wäre es gewesen, diese Bahn war klein, aber nicht klein genug, um Emil auf Dauer festhalten zu können. Vielleicht fuhr er seit dem Abschied am Bahnhof Neustadt mit dem Kuckucksbähnel durchs Elmsteiner Tal hin und zurück und kam dort nicht mehr heraus, bis ihn der erste Schnee verjagen würde.
    Am Bahnsteig in Edenkoben wehte wie immer ein scharfer Wind. Herr Faustini machte sich zu Fuß auf ins Städtchen, den beiden Kirchtürmen
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