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Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman

Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman

Titel: Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman
Autoren: Haymon
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nicht wunderbar, dass eine Meldung wie diese eine Nation beschäftigen konnte? Aus anderen Ländern stiegen bedrohliche Rauchzeichen zum Himmel, während Herrn Faustinis Land sich mit Operettenproblemen beschäftigte. Auf dem Schiff Rheingold freilich war die mögliche Abänderung der österreichischen Bundeshymne kein Thema.

9
    In Köln ging Herr Faustini mit den besten Wünschen einschließlich einer Einladung zu den van der Hoochs nach Amsterdam von Bord. Herr und Frau van der Hooch winkten von der Reling mit weit ausholenden langsamen Bewegungen, so als würden sie unsichtbare Fenster putzen. Da fuhr sie dahin, die ausdauerndste und hartnäckigste Tanzpartnerin aller Zeiten. Zupfte sie da das Jackett ihres Mannes zurecht? Jedenfalls verschwand das Schiff erstaunlich schnell im Flusslicht. Wo eben noch das Schiff gewesen war, da spürte Herr Faustini nun den Leerraum, den es hinterließ. Er war tatsächlich auf dem Dampfer gefahren. Oder war es doch nur ein Traum? Ein leichter Wind wehte an den Landesteg, der Herrn Faustini zu schwanken schien. Es war wohl das Schiff, das in ihm nachschwankte. Ein echtes schwankendes Schiff konnte nicht geträumt sein. Auch das feine Vibrieren, das Herr Faustini nun um sich und in seiner Magengrube wahrnahm, träumte er doch wohl nicht? War es das Kraftfeld der Stadt Köln, das bis herunter an den Steg zitterte? Über die große stählerne Rheinbrücke donnerte ein ICE , dort oben gingen schemenhaft und winzig klein Menschen hin und her. Nein, er träumte nicht.
    Herr Faustini machte sich auf, um den Dom zu sehen. Ein paar Schritte und er hatte das Mittelalter betreten. Wie dicht hier die Jahrhunderte lagen! Wie schwer die stehende Zeit wog! Dagegen wirkte der helle romanische Dom zu Speyer wie durchsichtig, leicht und fröhlich. Herr Faustini meinte die wuchtigen purpurnen Gewänder der hundert und hundert Bischöfe und Kardinäle zu spüren, die hier im Dom zu Köln ihre Messen gehalten hatten. In einem so lichtarmen Gebäude wie diesem konnte Gott sich überall verbergen. Das Auge fand bei längerer Betrachtung unzählige Lichträtsel zu entschlüsseln. Die Baumeister des Doms wussten, wie man Seelen bannt. Man musste nur die Augen in immer verzweigtere Dunkelmysterien führen, die Seele würde nachfolgen. Hunger, Pest und Kriege blieben vor der Tür. Wem draußen die Not zu laut schrie, der fand hier im Dom eine Stille wie nirgendwo sonst. Eine Stille inmitten der stehenden Zeit.
    Die Touristen vor dem Dom hielten die Köpfe im Nacken, Digitalkamera in der ausgestreckten Hand.
    Junge Männer in tiefhängenden Hosen standen auf ihren Skateboards, sprangen über Stufen, schipperten am Geländer entlang, dass das Krachen an der Domfront widerhallte. Vom nahegelegenen Bahnhof dröhnte ein Brüllen, das mit dem Röhren der Auspuffe mancher Autos vergleichbar war, deren Besitzer auf einen imposanten Samstagabendauftritt vor der Diskothek Wert legten. Nur dass dieses Brüllen aus menschlichen Hälsen kam, zweifellos aus männlichen. Es verzerrte sich zum vielkehligen Gesang, Herr Faustini konnte allerdings nicht verstehen, was da gesungen wurde. Ihn verlangte auch nicht danach. Vielmehr trieb es ihn fort vom Ort des Lärms und hinein in die Fußgängerzone.
    An der Ecke der Deutschen Bank lehnte ein älterer Mann mit zwei Aldi-Plastiktüten zu Füßen, der unablässig redete. Er sprach aber nicht zu sich selbst, sondern hob mit seinen Sätzen immer dann an, wenn eine junge Frau vorbeiging. Für Herrn Faustinis Ohr klang es wie „Esch ösch äsch habt err äscht nüscht nix“. Bei jeder Frau dieselbe Melodie. Keine von ihnen blieb stehen, um seinen Singsang zu hören. So kam er nie über die Anfangsstrophe hinaus. Kein Hut lag zu seinen Füßen, kein von Hand beschriebenes Kartonstück, das in Stichworten seine Geschichte erzählte, erklärte, wie er in diese Lage gekommen war. Der Mann wollte kein Geld, er wollte, dass ihm jemand zuhörte. Dieser jemand musste allerdings eine Frau sein und womöglich auch noch jung. Herr Faustini konnte seinem monologisierenden Mitmenschen dabei nicht helfen.
    Ein paar Schritte weiter thronte im Schaufenster eines Juweliers eine einzelne Uhr aus dem Hause Jaeger-LeCoultre . In dieser Preisklasse gab es kein Preisschild in der Auslage. Verglichen mit den protzigen 250-Euro-Uhren im Schaufenster daneben war diese Uhr aus der Schweizer Traditionsschmiede ein Mönch unter den Preziosen.
    Herr Faustini stellte sich sein Handgelenk durch diese Uhr
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