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Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman

Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman

Titel: Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman
Autoren: Haymon
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veredelt vor. Doch würde er sein harmloses Herumstreunen mit einer Zwanzigtausend-Euro-Uhr am Handgelenk weiterführen können? Würde er nicht in jedem halbwegs kräftigen Spaziergänger einen potentiellen Räuber vermuten müssen? Für einen Räuber wäre sein Handgelenk keinen Pfifferling mehr wert, nachdem er die Jaeger-LeCoultre in seinen Besitz gebracht hätte. Mit einer solchen Uhr am Handgelenk würde er abends nicht in seinem alten Ohrensessel in Gesellschaft des Katers sitzen können. Eine Jaeger-LeCoultre wollte ausgeführt werden. Er würde die Gesellschaft der oberen Zehntausend suchen müssen, denn nur so käme seine Uhr unter jene Menschen, deren Aufmerksamkeit sie verdiente. Diese Menschen würden ihrerseits ihre Jaeger-LeCoultre diskret am Handgelenk tragen, würden beim Griff nach dem Champagnerglas wie beiläufig den Blick auf ihre Uhr freigeben. Am Ende würden sie Herrn Faustini seiner Uhr wegen ansprechen, so wie auch sie erwarteten, ihrer Uhr wegen angesprochen zu werden. Herr Faustini würde die Konversation lieber den Uhren überlassen. Seine Jaeger-LeCoultre würde selbst am besten wissen, was sie einer Uhr aus demselben Hause zu sagen hat.
    Beim Anblick der Uhr war ihm, als verdichte sich die Luft vor ihm zu einer immer schwereren Masse, ja, als verfärbe sie sich zunehmend. Vielleicht würde ihm durchs bloße Betrachten der Luxusuhr die Lösung eines der großen Menschheitsrätsel gelingen, die Erzeugung von Gold aus einem unedlen Werkstoff, in seinem Fall aus Luft. Herr Faustini sah schon die Schlagzeile der BILD -Zeitung vor sich: ALCHEMIST IN KÖLNER FUSSGÄNGERZONE GESCHNAPPT!
    Er zog es vor, rasch weiterzugehen. Er sah Menschen sackweise ihre Beute aus Sonderangebotsläden schleppen, sah bauchfreie junge Mädchen, die sich gegenseitig die Saisonschlussware vor den Körper hielten. Mit einem kurzen Nicken oder Kopfschütteln entschied die eine für die andere, ob sich ein Gang zu den überbelegten Umkleidekabinen lohnte. Hier schien vorerst nirgends übriggebliebene Zeit vergessen worden zu sein. Es gab keinen Raum für Luftmaschen, durch die der Augenblick hätte schlüpfen können, in dem alles zusammenkäme.
    Am späteren Nachmittag nahm das Vibrieren über der Stadt von Minute zu Minute zu. Die Büros schlossen, die Angestellten fluteten die Straßen, stiegen in Busse und S-Bahnen, standen im Stau an den großen Kreuzungen, über die da und dort heulend ein Einsatzfahrzeug preschte.
    Herr Faustini war in der berühmten Stadt Köln, doch für den Ratlosen war es nur eine gesichtslose Stadt, die im Feierabendverkehr bebte. Gewiss gab es ein ungeheuer wichtiges Museum, das er hätte besuchen, ein legendäres Café, in das er hätte einkehren, eine Aussichtsplattform, auf die er hätte steigen sollen. Um ihn war die große Stadt wie eine Mauer, durch die er nur mit Mühe würde dringen können. Freilich gab es in jeder Stadt, an jedem Ort Lücken, durch die ein anderes Licht, eine andere Leichtigkeit strömen konnten. Die Abwesenheit der Stadt hatte für Herrn Faustini auch ihre Vorzüge. In der Abwesenheit war die herrenlos herumstehende Zeit leichter auszumachen. Denn auch hier, mitten im Treiben der Großstadt, musste es die Lücke geben. Man musste sich nur aufmachen, sie zu suchen. Herr Faustini kannte in dieser Stadt nichts und niemanden, und er bemerkte, dass ihm ein Kloß Einsamkeit im Hals aufstieg. Auf dem Land, in der Kleinstadt war alleine sein etwas ganz anderes als das Einsamsein unter den Sonderangebotsjägern der Fußgängerzone. Hier verbarg sich nirgends der eine Augenblick, so viel war sicher. Hier konnte er lange und vergebens darauf warten, dass die hellen Fäden in seinem Innern zu einem Punkt zusammenfänden. Er sah die Weinberge hinter Edenkoben vor sich. Er beschloss, den Zug zu nehmen. Er war noch nicht alle Wege abgegangen, hatte noch nicht jeden Winkel nach seinem Augenblick abgesucht.
    Die alte Stahlkonstruktion der Bahnhofskuppel war ein Wunderwerk der Technik. Herr Faustini stand lange mit dem Kopf im Nacken. Schon immer hatten Bahnhöfe wie dieser ihm den Weg hinausgewiesen in eine Welt hinter der Welt. Besonders alte Fotografien der Bahnhöfe von Paris, die in diesem unvergleichlichen Licht lagen, hatten ihn angezogen. Er hatte sich das Leben jener eleganten Dame im Crêpe-de-Chine-Kleid vorgestellt, deren Gesichtszüge im Schatten ihres Sommerhutes zurücktraten. Er war dem Blick der Gemüseverkäuferin, der Nackenlinie des Droschkenpferdes mit einer
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