Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman

Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman

Titel: Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman
Autoren: Haymon
Vom Netzwerk:
seines Dorfes ihn nicht suchen lassen würde, wie am Wahlsonntag vor fünf Jahren, als er nach dem Sonntagsgottesdienst nicht wie die anderen geschlossen ins Wahllokal gegenüber gegangen, vielmehr einen Rundgang durchs Dorf gemacht hatte. Der Vorsitzende der Wahlkommission hatte jedoch den Ehrgeiz, als Erster in seinem Wahlsprengel das vollständig ausgezählte Ergebnis an die zentrale Wahlkommission in Bregenz weiterzuleiten. Einerseits um seine und die Zuverlässigkeit des ganzen Dorfes unter Beweis zu stellen, andererseits weil seine Frau mit dem Mittagessen wartete und auf pünktliches Erscheinen bei Tisch den allergrößten Wert legte. Schließlich stand noch ein Sonntagsausflug zu den Schwiegereltern an, für die Unpünktlichkeit dem Verfall der Sitten Tür und Tor öffnete. Herr Faustini war also quer über den Dorfplatz und an den Fenstern des Wahllokals vorbeigegangen, als würde ihn das alles nichts angehen. Da jedoch nach dem Gottesdienst das ganze Dorf ins Wahllokal strömte, blieb keine Zeit, nach Herrn Faustini zu schicken. Er würde gewiss nur eine Runde drehen, man würde jemanden nach ihm schicken, sobald der Ansturm nachgelassen hatte. Normalerweise saß er an Wahlsonntagen in der Nähe der Bushaltestelle und beobachtete den Verkehr, der nicht stattfand. Immerhin hatte er früher anstandslos gewählt. Wenn auch jeder im Dorf wusste, dass seine Stimme wohl eine der handverlesenen war, die nicht für den unumstrittenen Retter der Krankenkassenmillionen zählten. Hauptsache, der Vorsitzende der Wahlkommission konnte in Bregenz die vollständig abgehakte Wahlliste deponieren. Herr Faustini war es, der die Vollzähligkeit unterwanderte und so das Instrument der Demokratie, die freien und geheimen Wahlen, für welche die Altvorderen unter großen Opfern gekämpft hatten, aushebelte. Herr Faustini war den ganzen Wahlsonntag lang nicht auffindbar gewesen. Die nicht vollzählige Liste der Wahlkommission wurde unter Zähneknirschen als letzte aus dem Wahlsprengel in Bregenz abgegeben. Herr Faustini hatte dem Vorsitzenden sowohl das Wahlsonntagsmittagessen versaut, als auch dessen Schwiegereltern erzürnt, die über Gebühr auf den Sonntagsbesuch hatten warten müssen.
    Herr Faustini bestieg den Regionalzug. Irgendwo dämmerte ein Reisender in den Nachmittag. Im Zug war viel Platz, um seine Gedanken schweifen zu lassen. Doch wohin sollten sie an einem Samstag vor einer Wahl schweifen? Sie würden ja doch nicht weit kommen. Neben ihm lag ein Hochglanzmagazin, auf dessen Titelblatt kein Lokalpolitiker abgebildet war. Während der Zug aus dem Bahnhof rollte, schlug er das Magazin auf. Wenn man dem Heft trauen durfte, hielt die Stadt Dornbirn den Weltrekord in Lebenskultur, in Modernität und Weltoffenheit. Urtümliche Almen, die von bodenständigen Bauern bewirtschaftet wurden, gehörten ebenso zu Dornbirn wie moderne Hochleistungsbetriebe, in denen die Arbeiter den ganzen Tag beglückt und fair entlohnt lächelten. Fasziniert blätterte Faustini in dem Magazin, er erkannte die Stadt nicht wieder. Sie schien allein im Dienst des Menschen und seines Wohlbefindens errichtet worden zu sein. Eine Stadt, deren leuchtenden Bildern sich keiner entziehen konnte. Was war an einem Tag wie diesem, da der Zug durch ein Spalier von Wahlplakaten rollte, besseres zu tun, als in Dornbirn, dem Zentrum der höheren Lebensart auszusteigen?
    Um den Bahnhof gähnte auch hier die Leere. Vor dem Haupteingang standen zwei türkische Einwanderer der ersten Generation, in deren Augen das Feuer Anatoliens nachbrannte. Obgleich sie den Glauben an die heimwärts führenden Gleise verloren hatten, blieben sie von Anfang an im Umkreis des Bahnhofs, der ihnen in all den Jahren, in denen sie hier nicht hatten heimisch werden können, Ankerpunkt geworden war. Herr Faustini nickte den beiden zu, die seinen Schatten im gleißenden Schimmer ihrer Augen vorüberziehen ließen.
    Die Dornbirner Bahnhofstraße war für Herrn Faustini schon immer eine Prüfung gewesen. Er fühlte sich auf Herz und Nieren geprüft, und nur in seinen stärksten Momenten hatte er standgehalten. Üblicherweise war er als Gehender auf dieser Straße sich selbst abhanden gekommen, hatte sich andernorts mühsam wieder neu zusammensetzen müssen.
    Waren es die nunmehr geschlossenen Altdeutschen Stuben gewesen, die alle Kraft aus seinen Beinen, mit denen er an ihnen vorüberging, gesaugt hatten? Noch immer meinte Herr Faustini zu spüren, wie um die Altdeutschen Stuben das Licht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher