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Blutbeichte

Blutbeichte

Titel: Blutbeichte
Autoren: Alex Barclay
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Prolog
    Das Zimmer war klein und fensterlos. Trübe, milchige Lichtstrahlen fielen durch die Gitterstäbe, die sich über eine ganze Wand hinzogen. Der kleine Fernseher, der auf einem schwarzen Bord stand, war auf volle Lautstärke gedreht, doch man hörte nur statisches Rauschen. Auf einem Tablett an der Tür lagen die unansehnlichen Reste eines verkochten Essens.
    An der Wand auf der rechten Seite stand ein sorgfältig gemachtes Bett. Das Bettlaken war straff über die dünne Matratze gezogen. Die schmucklose grüne Bettdecke war glatt gestrichen und bildete nur an der Stelle eine Mulde, an der er mit gekrümmtem Rücken saß – still, nachdenklich und in sich gekehrt. Dunkle Schweißflecke waren auf seinem blauen Hemd, und der Geruch seiner Ausdünstungen vermischte sich mit dem fauligen Gestank des Essens, das er nicht angerührt hatte.
    Er schlug die Augen auf und drehte sich zu der Schreibtischlampe um, die neben ihm stand. Er schaltete sie ein und hielt einen Gegenstand ins helle Licht. Es war ein Gipsabdruck der zweiunddreißig menschlichen Zähne, von denen er jeden einzelnen mühelos benennen konnte. Beinahe zärtlich strich er mit dem Daumen über den Gipsabdruck, über die Unvollkommenheit eines vorstehenden Schneidezahns, einen spitzen Eckzahn, die unebene Oberfläche eines abgeschlagenen vorderen Backenzahns. Nur einmal hatte er diese Zähne bei einem Lächeln gesehen. Es war ein kurzes Aufblitzen gewesen, ehe das Grauen begann, ehe die Zähne stundenlang im Todeskampf zusammengepresst oder nur dann zu sehen waren, wenn die Lippen sich zu einem stummen Schrei der Qual verzogen.
    Er beugte sich vor, zog eine Kiste unter dem Bett hervor und stellte sie sich auf den Schoß. Er beugte sich zur Seite, zog einen Schlüssel aus der Tasche und öffnete die Kiste. Ein letztes Mal schaute er auf den Gipsabdruck, bevor er ihn zu den anderen in die Kiste legte.
    Eins, zwei, drei.
    Vier.
    Der Tag, der auf den Tag folgt, an dem du dein erstes Opfer hast sterben sehen, unterscheidet sich nicht sehr von dem Tag davor. Du wachst wieder auf. Vielleicht lässt du das Frühstück ausfallen, vielleicht sogar das Mittagessen, aber irgendwann wirst du wieder essen. Und du wirst schlafen. Und dein Leben wird wieder einen bestimmten Rhythmus annehmen. Nur ist es nicht derselbe Rhythmus wie zuvor. Vielleicht wird er ein wenig unregelmäßig sein, aber zumindest ist es dein Rhythmus, dem nur du allein gehorchst.
    Er schob die Kiste unters Bett, wo die anderen Erinnerungen lagen – von Menschen, denen er das Leben genommen hatte, und von anderen, die verschont geblieben waren. Er schloss die Augen und atmete die warme Luft der Gefangenschaft.
    Mein Gefängnis ist ein Trainingscamp, eine Zwischenstation. Ein Werkzeug. Ich schaue auf die Gitterstäbe hinter mir, auf den Platz rings um mich, betrachte die bedrückende Enge. Ich denke daran, wo du bist und wie tragisch es für dich ist, dass ich hier bin und du dort. Wie schrecklich, wie schmerzlich. Aber wie schnell werde auch ich dort sein. Bei dir!
    Eingang. Ausgang.
    Er knipste die Schreibtischlampe aus, steckte den Schlüssel in die Tasche, stand auf und ging zur Tür. Er schob den Riegelzurück und trat hinaus. Er hob den Arm, schaltete den Fernseher aus und beobachtete, wie das Licht in einen winzigen Kreis in die Mitte gezogen wurde, ehe der Bildschirm schwarz wurde. Dann ging er den Flur hinunter und stieg die Treppe hinauf. Bevor er die Schwelle seines hellen, klimatisierten Hauses überschritt, blieb er kurz stehen.
    Sie war neunundzwanzig Jahre alt, klein und zierlich und trug ein weißes Top, eine pinkfarbene Strickjacke und Jeans. Ihr dunkles Haar hatte sie mit einer Spange im Nacken zusammengebunden. Ihre Haut war bleich, ihre Augen hellblau. Neben ihr lag eine nach Anleitung genähte Puppe, an der sie jedoch das Interesse verloren hatte, noch ehe sie den Mund aufgenäht und Schleifen in das braune Wollhaar gebunden hatte. Daneben lag ein Keramik-Aschenbecher, der zur Hälfte bemalt war und ihre Daumenabdrücke aufwies.
    Sie wusste nicht mehr, warum sie sich hingesetzt hatte. Sie öffnete die Schreibtischschublade und nahm eine laminierte Gebetskarte und ihren roten, duftenden Padre-Pio-Rosenkranz heraus. Sie wickelte den Rosenkranz um ihre Finger, senkte den Kopf und betete. Sie sprach zum heiligen Josef und sagte ihm, dass sie es nicht wage, sich ihm zu nähern, während Jesus in der Nähe ihres Herzens ruhe.
    Plötzlich spürte sie wieder den vertrauten Druck im
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