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Suzanna

Suzanna

Titel: Suzanna
Autoren: Nora Roberts
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P ROLOG
    Bar Harbor, 1965
    In dem Moment, als ich sie sah, veränderte sich mein Leben. Mehr als fünfzig Jahre sind seit jenem Moment vergangen, und ich bin nun ein alter Mann mit weißen Haaren, dessen Körper gebrechlich geworden ist. Doch meine Erinnerungen sind noch immer voll Farbe und Kraft.
    Seit meinem Herzinfarkt muss ich täglich ruhen. Und ich kehre hierher auf die Insel zurück – ihre Insel –, wo alles für mich begann. Die Insel hat sich verändert, genau wie ich. Das große Feuer 1947 hat viel zerstört. Neue Gebäude, neue Menschen. Autos verstopfen die Straßen und lassen den Charme der klingelnden Kutschen vermissen. Doch ich bin glücklich, die Insel so sehen zu können, wie sie war und wie sie ist.
    Mein Sohn ist jetzt ein Mann, ein guter Mann, der seinen Lebensunterhalt auf See verdient. Wir haben uns nie wirklich verstanden, sind aber ganz gut miteinander ausgekommen. Er hat eine stille, zauberhafte Frau und einen Sohn. Der Junge, der kleine Holt, bringt besondere Freude in mein Leben. Vielleicht, weil ich mich selbst in ihm so deutlich erkennen kann. Die Ungeduld, das Feuer, die Leidenschaften, die einst die meinen waren. Vielleicht wird auch er zu viel empfinden, zu viel wollen. Dennoch kann mir nichts leid tun. Könnte ich ihm einen Rat geben, dann den, das Leben zu packen und es sich zu nehmen.
    Mein Leben ist erfüllt gewesen, und ich bin dankbar für die Jahre, die ich mit Margaret hatte. Ich war nicht mehr jung, als sie meine Frau wurde. Was wir gemeinsam erlebten, war kein Feuersturm, sondern die behagliche Wärme eines beständigen Feuers. Sie brachte mir Trost, und ich hoffe, ich habe ihr Glück geschenkt. Sie ist vor fast zehn Jahren von mir gegangen, und meine Erinnerungen an sie sind süß.
    Doch es ist die Erinnerung an eine andere Frau, die mich verfolgt. Diese Erinnerung ist so schmerzlich klar, so vollständig. Nach so viel Zeit konnte sie nicht abstumpfen. Die Jahre haben das Bild dieser Frau nicht verblassen lassen und konnten meine verzweifelte Liebe zu ihr nicht um einen einzigen Grad abkühlen. Eine Liebe, die ich noch immer empfinde, die ich immer empfinden werde, obwohl ich diese Frau verloren habe.
    Vielleicht kann ich mich jetzt, nachdem mich der Tod so nahe gestreift hat, wieder öffnen, kann mir erlauben, mich an die Dinge zu erinnern, die ich nie vergessen konnte. Es gab eine Zeit, als diese Erinnerungen zu schmerzlich waren, und ich verlor diesen Schmerz in der Flasche. Als ich auch darin keinen Trost fand, vergrub ich mein Unglück in meiner Arbeit. Ich malte und reiste wieder. Doch immer, immer wieder wurde ich hierher zurückgezogen, wo ich einst zu leben begonnen hatte. Wo ich eines Tages sterben werde.
    Ein Mann liebt nur einmal auf diese Weise, und auch nur, wenn er Glück hat. Für mich war es Bianca. Für mich war es immer Bianca.

    Es war Juni 1912, unmittelbar bevor der Erste Weltkrieg großes Leid über viele Völker brachte. Es war der Sommer des Friedens und der Schönheit, der Kunst und der Poesie, als sich das Dorf Bar Harbor für die Reichen öffnete und den Künstlern Zuflucht bot.
    Sie kam auf die Klippen, auf denen ich malte, an der Hand ein Kind. Ich wandte mich von meiner Leinwand ab, den Pinsel noch in der Hand, die Stimmung der See und des Gemäldes noch immer in mir. Da war sie, schlank und zauberhaft, das Haar von der Farbe des Sonnenuntergangs hinten hochgebunden. Der Wind zerrte an ihren Locken und an dem hellblauen Rock. Ihre Augen besaßen die Farbe der See, die ich so besessen auf Leinwand wiedererstehen lassen wollte. Sie betrachtete mich neugierig, vorsichtig. Sie hatte die helle, durchscheinende Haut der Iren.
    In dem Moment, als ich sie sah, wusste ich, dass ich sie malen musste. Und ich glaube, wie sie so da im Wind stand, keimte in mir meine Liebe zu ihr.
    Sie entschuldigte sich für die Unterbrechung meiner Arbeit. Ihre Stimme klang sanft, musikalisch. Das Kind, das sie inzwischen auf den Armen hielt, war ihr Sohn. Sie war Bianca Calhoun, die Frau eines anderen Mannes. Ihr Sommerhaus stand auf dem Hügel oberhalb von uns. The Towers, die kunstvolle Burg, die Fergus Calhoun erbaut hatte. Obwohl ich erst seit kurzer Zeit auf Mount Desert Island war, hatte ich von Calhoun und seinem Haus schon gehört. Ich hatte sogar schon die Türme und Spitzen, die Türmchen und die Wandelgänge und die arroganten, fantasievollen Linien bewundert.
    So ein Haus passte zu der Frau, die vor mir stand. Sie war eine zeitlose Schönheit, von
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