Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman

Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman

Titel: Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman
Autoren: Haymon
Vom Netzwerk:
vom Menschen denn schon bekannt? Und was geschah mit dem, der glaubte, den Menschen entlarvt, sein Geheimnis gelüftet zu haben? Herr Faustini musste lächeln, ja, er lächelte der Nacht entgegen, und die Nacht lächelte in ihm zurück. Dass in diesem Augenblick – aber was hieß das schon: Augenblick? – eine Sternschnuppe ins unendliche Nichts, oder besser ins Lächeln fiel, hätte Herr Faustini gerne als Einverständnis der Nacht verstanden, aber soweit ging er nicht, zu glauben, das Universum sei bloß dafür geschaffen, auf seine Befindlichkeit zu reagieren. Das Universum brauchte nicht müde zu sein, bloß weil Herr Faustini es war. Die Nacht würde sich dehnen und dehnen, und in einem unbeobachteten Moment würde sie ihren ersten Silberstreif übers Land schicken. Irgendwo mochten ein paar Kinder frierend vor ihrem Zelt im eigenen Hausgarten sitzen und auf den ersten Lichtstreif am Horizont warten. Die Erde würde sich ihnen entgegenwölben wie noch nie, sie würden darin das Versprechen des ersten Lichts sehen, doch sie würden sich täuschen, das Licht ließe Atemzug für Atemzug auf sich warten. Mit einem Mal stünde es am Horizont, aber keiner von den Fröstelnden hätte sein Erscheinen gesehen, erschöpft lägen sie in eine Decke gerollt, blinzelten in den jungen Tag, als die Sonne schon millionenfach im Tau glitzerte.
    Herr Faustini hatte anderes vor, er würde nicht dabei sein, wenn langsam, kaum merklich der Tag anbricht. Er würde schlafen, denn jede einzelne Faser seines Körpers war müde. Er zog seinen Schlafanzug an, bestieg vorsichtig dieses ihm noch unbekannte Bett, deckte sich zu, sagte zu sich selbst, wie müde er doch war. Während er versuchte, nicht an die Druckstellen der unkomfortablen Matratze zu denken, nicht die Altluft des verhockten Zimmers mit seinem Sparkasse-Edenkoben-Aschenbecher auf dem Nachttisch in seiner Nase kribbeln zu spüren, flossen die Farben ineinander. Herr Faustini wunderte sich, dass dort oben auf dem Baum ein Wildschwein stand. Ja, es stand mit allen vieren auf einem Ast, während sein Blick einer Fliege folgte, die hartnäckig um es herum kreiste. Ein Wildschwein auf dem Baum? Lass gut sein, dachte Herr Faustini, es wird schon von selbst herunterfinden. Das Wildschwein wurde kleiner, während die um es kreisende Fliege immer größer wurde. Das Wildschwein wurde blasser, bis es nur noch ein Schemen war, die Fliege aber glänzte in ihrem metallenen Panzer, und sie summte schwer und laut wie ein Doppeldeckerflugzeug. Die Fliege war um die halbe Welt geflogen, um hier das Wildschwein zu umkreisen. Sie hatte die Sümpfe Asiens gesehen, war über weite öde Steppen geflogen, um ihrer Bestimmung gerecht zu werden, nämlich das Wildschwein im Traum zum Verschwinden zu bringen. Plötzlich Stille. Sie war aus dem Traum heraus- und direkt auf Herrn Faustinis Nase geflogen. Übergroß sah er mit geschlossenen Augen seinen Nasenberg vor sich, auf dem die Fliege gelandet war. Und indem er ihn vor sich sah, versammelte sich dort seine Halbschlafenergie, wovon der Nasenberg wie von selbst zu vibrieren begann. Da stieg die Fliege auf, kreiste über ihm, wobei sie bei jeder Umdrehung schwerer zu werden schien. Herr Faustini war zu müde, um das Licht anzuschalten und Jagd auf sie zu machen. Er drehte sich zur Seite, legte seine flache Hand auf sein Ohr. So hatte er schon manche Ruhestörung überschlafen. Mit jedem Atemzug stiegen schon ineinanderfließende Traumbilder in ihm auf. Vom Wildschwein auf dem Baum war keine Spur zu sehen. Nicht einmal der Baum war mehr da. Stattdessen lag dort ein Bahngleis, das sich flimmernd am Horizont verlor. Vielleicht konnte er einen herannahenden Zug hören, wenn er das Ohr auf das Gleis legte. Ein hoher Ton vibrierte im Gleis, als ob der flimmernde Horizont in ihm sänge. Da fiel ein Bündel auf das Gleis, er versuchte es wegzuschaffen, doch es ließ sich nicht von der Stelle bewegen. Er schob und drückte, Schweiß lief ihm über die Nase. Dort stockte der Schweiß, ein Bündel lag auf seiner Nase. Wenn er die Nase bewegte? Da flog sie wieder, die Fliege, kreiste tief wie ein Wasserflugzeug. Herr Faustini schlug die Augen auf. Immer noch standen da die Bilder von der langen Reise der Fliege um die Welt. Diese Bilder benötigten viel Raum, mehr als das kleine Zimmer zur Verfügung hatte. Legte die Fliege mit ihrem wilden Flug eine Spur, der zu folgen sich lohnen würde? Dieses Zimmer war zu klein für ihn und die Fliege, das wusste Herr
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher