Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman

Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman

Titel: Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman
Autoren: Haymon
Vom Netzwerk:
mitnehmen. Er wollte noch eine kleine Besichtigungsrunde tun, ehe die Dämmerung einbrach.
    War die Kleinstadt Edenkoben eine Versuchsstation zur Ausbalancierung der beiden Welten Eden und Schweinekoben? Die Häuser im Zentrum zeigten eine düsterschwere Patina. Vor dem Kiosk stand ein älterer Mann gegen sein Fahrrad gelehnt und starrte jedem Auto nach, das vorbeifuhr. Fuhr keines vorbei, so fixierte sein Blick die Kennzeichen der geparkten Wagen, als würde er dafür bezahlt, sie auswendig zu lernen. Entdeckte er dabei ein Kennzeichen, das nicht aus der Gegend war, so lehnte er sich zur genauen Abklärung der Herkunft des Wagens so weit über sein Fahrrad, dass Herr Faustini um sein Gleichgewicht fürchtete. Kein Streifenpolizist würde dem Kennzeichen eines Wagens je solche Aufmerksamkeit widmen wie dieser Mann es tat, ohne dass einer ihn dafür bezahlte.
    Vor dem Kiosk stand ein Schild mit dem handgeschriebenen Hinweis: Hallo Kids! Bitte nicht in den Magazinen blättern! Dahinter leuchtete das rote Schild des China-Restaurants „Roter Drache“. Auf dem Gehsteig davor standen drei türkische Männer mit dem traurigen Blick derer, die niemals dazugehören würden. Im Blick dieser Männer sah Herr Faustini das weite Anatolien mit seinen Steppen und seinen Bergschluchten. Ja, ihr Blick spiegelte die raue Landschaft, eine Weite, die in Edenkoben in Gestalt dieser Männer gefangen war. Apotheke, Reisebüro, Sparkasse, Gasthaus Schreieck: Herr Faustini zweifelte daran, dass hier der Mittelpunkt war, in dem alles zusammenkäme. Aber etwas ließ ihn nicht los an diesen düsteren Häusern. In ihnen eingeschlossen lag reglos eine längst vergangene Zeit, die den Menschen, die dort wohnten und arbeiteten, auf die Augenlider drückte. Die Bewegung war in diesen Häusern zum Erliegen gekommen, da half kein neues Schild, das anzubringen sich nach Ansicht der sparsamen Menschen ja doch nicht lohnen würde. Die einzigen, die in diese traurigen Häuser Leben zurückbringen konnten, wurden frühzeitig an jeder Ecke gemaßregelt, wie das handgemalte Schild beim Kiosk zeigte. Kaum blieb ein Flecken Grün vor einer sogenannten Wohnanlage, konnte man auch sicher sein, dass das Hinweisschild Spielen verboten! nicht fehlen würde. Aber war gerade hier die Herausforderung einer Suche nach dem Mittelpunkt, an dem alles zusammenkäme, nicht umso größer? Gleich morgen Früh würde er damit beginnen.
    In Herrn Faustinis Zimmer stand die Luft schwer und drückend. Er öffnete beide Fenster hinaus auf den Weinberg, über dem das Zirpen der Grillen leise vibrierte. Müde stand er mit dem Kopf im Nacken und besah sich den Nachthimmel, an dem die Sterne zum Greifen nahe standen. Der Große Wagen, der Kleine Wagen, die Kassiopeia, das war alles, was Herr Faustini an Sternbildern kannte und benennen konnte. Doch was waren Namen in der Unendlichkeit da draußen? Herr Faustini wurde ganz leicht, er musste sich am Fensterbrett festhalten, um nicht hinauszusegeln in die Endlosigkeit. Dort war nur, was jeder hineindachte. Der ganze Himmel ein Netz ungezählter Wünsche, die an den Sternen doch nicht hängen blieben. Im Betrachten des Sternenhimmels fühlte sich Herr Faustini mit allen Menschen verbunden, die je dort hinaufgefleht, -geflüstert oder einfach nur -geschaut hatten. Vom Gewicht aller Wünsche und Sehnsüchte allein hätte das Himmelszelt schon zusammenbrechen müssen. Aber es stand da, wie es immer dagestanden hatte, in einer Stille, die ans Herz griff. Lautlos zog ein Satellit seine Bahn, und noch einer, und noch einer. Egal wohin man reiste, die Satelliten waren da. Bedeutete das nicht, dass es kein Draußen mehr gab, kein Fernab, wie es noch die Seefahrer erfahren hatten, die aufbrachen, um die unbekannten Flecken der Erde zu erforschen? War die ganze Welt zum Schachbrett geschrumpft, auf dem der Mensch seine Läufer und Springer, seine Bauern und Türme hin- und herschob nach Belieben? Gewiss saßen in irgendeinem Turm welche, die durch die Augen ihres Satelliten auf die Welt als ein strategisches Gelände herabsahen, ohne einen Blick für das Einzelne und Kleine, nach dem Herr Faustini suchte. Mochte die Welt auf Millimeterpapier vermessen und durchkalkuliert sein, mochten Lenkwaffen jeden Punkt dieser Erde bedrohen, hier, im Weinberg von Edenkoben, war alles offen, weil durch einen, der am Fenster stand, die Endlosigkeit mit jedem Atemzug hindurchwehte. Bis in die Fingerkuppen war Herr Faustini durchpulst von Endlosigkeit. Was war
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher