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Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman

Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman

Titel: Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman
Autoren: Haymon
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Markt aller Märkte also. Wo wenn nicht hier müsste sich für einen Mitmenschen etwas zu essen auftreiben lassen? Herr Faustini nahm den Mann sachte beim Arm und führte ihn zu seinem Einkaufswagen. Der Mann im Jäckchen schien in der Tiefkühltruhe ins Innerste der ungeheuren Dinge geschaut zu haben, denn er ließ sich ohne Gegenwehr auf tapsigen Beinen wegführen. Herr Faustini legte dessen Hände auf den Griff des Einkaufswagens, die seinen daneben, so ging es unter Führung des Wagens weiter zur Wurst-Abteilung. Der Wagen hielt an, der Mann im Jäckchen beugte sich über die nebeneinander geschichteten Wurststapel. Da war wieder dieser Blick wie von weit weg. Es schien, er betrachte das Jenseits aller Wurst, das Hinter-der-Wurst. Auch Herr Faustini wurde nachdenklich über dem vielen rosarot, orange, blaurot verpackten ehemaligen Tierleben. Wurst lag an Wurst in Plastik verschweißt und dämmerte dumpf in ungesunden Farben vor sich hin. Der Mann im Jäckchen war noch tiefer in sich zusammengesunken. Wollen wir nach dem Brot sehen?, meinte Herr Faustini in zuversichtlichem Ton. Der Einkaufswagen führte sie in die Brotabteilung. Weit und breit keine Theke, hinter der freundliches Personal verlockende Leckerbissen angeboten hätte. Auch das Brot stapelte sich Vakuumverpackung an Vakuumverpackung und schimmerte in verdächtigen Farben. Dafür saß die Fliege wieder auf der Schulter des Jäckchens. Die Fliege war Herrn Faustini mittlerweile willkommen, denn sie war im ganzen Supermarkt noch mit Abstand das lebendigste Wesen.
    Ich schlage vor diesen Ort zu verlassen, meinte Herr Faustini gefasst, wir finden hier nichts zu essen, so viel ist sicher. Der Mann im Jäckchen nickte kurz und kraftlos, während der Einkaufswagen der Kasse entgegenstrebte. Die Kassierin winkte die beiden angeschlagenen Herren ohne besondere Gemütsregung durch.
    Dem Herrn im Jäckchen fiel die Trennung vom Einkaufswagen nicht leicht, denn nun hieß es für ihn, wieder ganz ohne Hilfe stehen und gehen zu müssen.
    Draußen vor dem Supermarkt wirkte er noch verlorener. Herr Faustini flüchtete in eine Frage: Was möchten Sie denn gerne essen? Der Mann im Jäckchen blickte ihn mit trüben Augen an, drehte langsam den Kopf und sah zum Bioladen auf der anderen Straßenseite hinüber. Möchten Sie, dass wir da nach etwas Essbarem suchen? Der Mann im Jäckchen nickte zweimal, was bislang sein stärkstes Lebenszeichen war.
    Im Bioladen griff sich Herr Faustini einen Korb, der Mann im Jäckchen schob einen kleinen Einkaufswagen. Wie satt die Karotten, der Brokkoli, der Lauch, die Zucchini leuchteten! Der Mann im Jäckchen griff sich einen Bund Karotten, Herr Faustini tat es ihm nach. Ein durchsichtiger Herr mittleren Alters stand mit zwei Zucchini in der Hand an der Gemüsewaage und las langsam, mit tief nach unten gerutschter Brille alle Nummern mit den jeweiligen Gemüseabbildungen von links nach rechts. Der Mann im Jäckchen stellte sich links, Herr Faustini rechts vom durchsichtigen Mann auf, sie lasen mit ihm die Nummern und ihr dazugehöriges Gemüsebild ab, allein würde der durchsichtige Mann nie zum Abwiegen seiner Zucchini kommen. Herr Faustini zeigte höflich auf die Nummer zweiunddreißig, auf der deutlich eine Zucchini abgebildet war. Der durchsichtige Mann bedankte sich müde, legte die Zucchini auf die Waage und drückte die Nummer zweiunddreißig. Er klebte das Preisschild direkt auf eine der Zucchini und ging zur Kasse, wobei auffiel, dass es dort, wo er ging, heller wurde. Er warf keinerlei Schatten, vielmehr war es, als strahle ein inneres Licht von ihm ab. Auch der Mann im Jäckchen schien es zu sehen, denn er ließ seinen Einkaufswagen stehen, ging wie an einer Schnur zu einem Regal, nahm ein Glas Sesammus und ging auf schwerelosen Sohlen zur Kasse. Der durchsichtige Mann bezahlte seine Zucchini, packte sie umständlich in eine Papiertüte und verließ mit einem Blick nach oben den Bioladen. Der Mann im Jäckchen sah ebenfalls nach oben, behielt seinen Blick dort länger als notwendig, denn er wollte nicht gleich wahrhaben, dass dort nichts war. Herr Faustini fand neben der Kasse eine orange Broschüre mit der Aufschrift Geführte Meditation, Focusing – Innere Stimme entdecken, Heilsame Dialoge mit dem Inneren Kind, Aufstellungsarbeit mit Figuren NEU ! Die Broschüre stammte von Udo Hase, Heilpraktiker für Psychotherapie, Gesprächs- & Focusingtherapeut. Wohin mit meiner Wut?, fragte die Abendakademie Mannheim. Rent a Yogi.
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