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Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman

Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman

Titel: Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman
Autoren: Haymon
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Welt raste. Hatte nicht ein Zweifler angesichts der ersten Eisenbahnlinie in England geschrieben, bei den fünfundzwanzig oder dreißig Meilen pro Stunde müsse der Reisende zweifellos schwachsinnig werden? Nun schoss man ohne mit der Wimper zu zucken mit zweihundert Sachen durch die leer geräumte Landschaft, vorbei an einem blau ausgeleuchteten zitternden Kleinhaus, in dem eine Familie neben dem Abendessen der Lösung der Millionenfrage nachging. Ob die Prophezeiung vom durch Beschleunigung herbeigeführten Schwachsinn Wirklichkeit geworden war, ließ sich heute nicht mehr abschätzen.
    Andererseits musste Herr Faustini zugeben, dass er auch mit einem gewissen Vergnügen durch die Landschaft raste. Denn gerade für den Langsamkeitspezialisten war es für einmal etwas Besonderes, das Dahinrasen. Viel Zeit zum Nachdenken blieb allerdings nicht, schon war der Gegenstand der Aufmerksamkeit, ein Haus, eine Fabrik, ein Supermarkt, ein Windkraftrad, nach hinten aus dem Blickfeld verschwunden. Doch war das ein Verlust? Es schien einen Vorrat an öden Landschaften zu geben, durch die man ohne Bedenken hindurchjagen durfte. Wenn man sich da nur nicht täuschte! Herr Faustini hegte Generalverdacht gegen rasch dahingesagte und -gedachte Allgemeinsätze. Wer wusste schon, ob nicht hinter einem öden Supermarkt der Augenblick aller Augenblicke darauf wartete, entdeckt und endlich gelebt zu werden? Zufrieden mit diesem Gedanken schloss Herr Faustini für einen Moment die Augen.
    Da hörte er den Namen Mannheim wie vom Grund eines Schwimmbeckens heraufblubbern. Herr Faustini blinzelte und sah am anderen Ende des Blinzelns den Namen Mannheim in Großbuchstaben auf dem Bahnsteig. Er sprang auf, riss seinen Koffer von der Gepäckablage und hopste dem Ausgang entgegen.
    Der Regionalzug schien beinahe stillzustehen, er klebte in der Landschaft. Manche Landschaften könnten ruhig schneller vorüberziehen. Nein, diese hier war bei näherem Hinschauen lieblicher als der rasende Blick zuerst wahrnahm. Denn der rasende Blick löschte die Landschaft beinahe aus, weil ihm alles zur Routine wurde.
    Im Regionalzug konnte Herr Faustini nun wieder das Anwesendsein im Schauen üben.
    Herr Faustini am Bahnsteig des kleinen Bahnhofs mit der Aufschrift Edenkoben. Er nahm seinen Koffer und ging geradewegs in Richtung Kirchturm los, genauer in Richtung zweier Kirchen, denn in der kleinen Stadt gab es allem Anschein nach zwei davon. Er begegnete keinem einzigen Fußgänger, stattdessen brausten verschiedenfarbige Autos an ihm vorbei.
    Herr Faustini hatte das Zentrum längst hinter sich gelassen, die Stadt dünnte aus, verlor sich in einigen grauen Häusern in den sanft ansteigenden Hügeln der Weinberge, als er – von den vorbeibrausenden Autos war ihm schon leicht übel – auf einem letzten alten Haus ein Schild mit der Aufschrift PENSION ELSTER erblickte. Die Elster war angesichts ihrer singvogelvertreibenden Qualitäten zwar nicht Herrn Faustinis Lieblingsvogel, aber wer wusste es schon, vielleicht war ihr schlechter Ruf nur ein Missverständnis und sie in Wirklichkeit ein treuer, um ihre Mitvögel und -menschen besorgter Charakter.
    Als Herr Faustini die Tür öffnete, stieg ihm kalter Rauch in die Nase. Sein Blick fiel auf einen Mann hinter einer Bierflasche an einem Resopaltisch. Eine Frau saß mit dem Rücken zum Eingang, sie drehte sich um und fragte, was er wünsche.
    Ein Zimmer, meinte Herr Faustini präzise. Die Frau erhob sich, holte einen Schlüssel von der Wand und machte Zeichen, ihr zu folgen. Sie stieg eine schmale Treppe hinauf, ihre Schritte wurden von einem Kokosläufer geschluckt. Der Flur erlaubte Herrn Faustini eine Zeitreise in seine Kindheit, als Kokosläufer und Rhododendron der neueste Schrei waren. Das Zimmer gestattete keinerlei Komfortgedanken, was Herrn Faustini nur recht war. Hinter der gelben Gardine dehnte sich eine endlose Weite, oder gaukelte ihm die Altluft der Pension etwas vor? Er schob die Gardine beiseite und sah hinaus auf Weinrebenzeilen, die sich sanft hügelwärts erstreckten, wo sie an einen dunklen Wald angrenzten, der den Hügelkamm beherrschte. Das Zimmer war ein strategischer Ort, von hier aus würde er sich auf seine Suche machen. Er würde sich keine Minute länger als unbedingt nötig in diesem Zimmer aufhalten, frühmorgens schon zur Erkundung der Gegend aufbrechen.
    Er ging die Treppe hinunter und ließ die Wirtin wissen, er nehme das Zimmer. Die nickte nur und nuschelte etwas von Schlüssel
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