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188 - Der lebende Nebel

188 - Der lebende Nebel

Titel: 188 - Der lebende Nebel
Autoren: Ronald M. Hahn
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Ein Waal? Sampang wollte aufatmen, doch dann sah er die abscheulichen Monstrositäten, die auf dem weißen Körper hockten.
    »Beim Fischgott«, keuchte er. Sampang hatte noch nie zweibeinige Leguane gesehen. Die Kämme der beiden Gestalten erinnerten an Drachen. Es gab auch eine gewisse Ähnlichkeit mit den Statuen am Tempel. Der Legende zufolge sahen so die Fischgötter aus, die dieses Gebiet einst beherrscht hatten. Niemand wusste, wo sie heute waren, aber vor Äonen waren ihnen alle Inseln unter der südlichen Sonne Untertan gewesen. Einige Gelehrte seines Volkes behaupteten, eine Seuche hätte sie dahingerafft. Andere meinten, sie herrschten nun anderswo über Menschen und Tiere.
    Vielleicht kehrten sie irgendwann zu den Sonneninseln zurück. Zuvor, sagten jene, die es wissen mussten, würden sie Götterboten schicken. Ob die wohl aussahen wie zweibeinige Leguane…?
    Sampang schüttelte sich. Für seinen Bruder Wagong waren die alten Prophezeiungen nur Ammenmärchen. Wagong behauptete, dass solche Geschichten nur dazu dienten, den Priestern den Rücken zu stärken. »Wer sich vor Göttern fürchtet«, sagte Wagong immer, »hat auch Angst vor ihren Stellvertretern. Und denen ist daran gelegen, die Menschen zu ängstigen, damit sie Macht über sie ausüben und sich auf ihre Kosten ein feines Leben machen können.«
    Sampang wusste nicht genau, was er davon halten sollte.
    Meist war er zwischen den Aussagen seines Bruders und denen der Gelehrten hin und her gerissen. Manchmal glaubte auch er, dass Wagong Recht hatte. Aber ebenso oft war er auch der Meinung, ein Gebet könne nicht schaden: Wenn es keine Götter gab, tat ein Gebet ihm nicht weh. Gab es sie aber doch, hatte er am Tag des Jüngsten Gerichts sicher bessere Karten als Wagong.
    Doch wenn es Götter gab… warum mussten ihre Boten so abscheulich aussehen? Sampang versuchte den Dunst mit Blicken zu durchdringen. Die Gestalten sahen wirklich grässlich aus.
    Wie gut, dass er kein Kind mehr war. Dann wäre er schreiend davon gelaufen. Je länger er die Monstrositäten anschaute, umso mutiger wurde er. Nun reckte er sogar den Hals.
    Was wollten die Boten überhaupt hier? Suchten sie etwa die Einfahrt zu der versteckten Bucht, in der die Dschunke seiner Familie vertäut war? Vom Meer aus konnte man die schmale Rinne nicht sehen, denn die Insel Adelee strotzte vor Vegetation. Das zu beiden Seiten der Einfahrt wuchernde Dickicht bildete einen fast natürlichen Tunnel. Adelee hatte auch keinen Strand: Hier wucherte der Urwald bis ans Wasser.
    Sampangs Herz pochte schneller, als er die Götterboten miteinander reden hörte. Was für eine Sprache! Sie schnalzten, klackten und schienen mit Kieseln zu gurgeln.
    Einer der beiden hielt etwas in der Hand, das wie Messing glänzte. Ein Fernrohr? Er deutete auf die langsam in der Dämmerung sichtbar werdende Nachbarinsel Augustus.
    Sampang atmete auf. Dann war Adelee nicht ihr Ziel? Was für ein Glück!
    Er richtete sich ein Stück auf. Die Götterboten schienen nun mit dem riesigen weißen Geschöpf, auf dem sie hockten, zu verschmelzen. Sampang riss die Augen auf, als er sie durch einen sich öffnenden Schlund ins Innere ihres bizarren Transportmittels verschwinden sah.
    Dann hob sich der über dem Wasser wogende Dunst. Das weiße Ungetüm verschwand glucksend unter dem Meer.
    Sampang stand auf. Seine Knie zitterten. Ich muss es Wagong melden, dachte er, aber wahrscheinlich wird er mir wieder mal nicht glauben!
    ***
    Man konnte tatsächlich den Eindruck gewinnen, der goldene Ball entstiege dem Meer…
    Quart’ol genoss die wärmende Sonne auf seiner Schuppenhaut. Wohin sein Blick wanderte, ragten flache Inseln aus dem Wasser. Sie waren durchgängig stark bewaldet. Seinen Informationen zufolge waren sie auch unbewohnt – mehr oder weniger deswegen, weil es ihnen an Süßwasserquellen mangelte.
    Das grüne Stück Land, vor ihrem bionetischen Rettungsboot auf dem Wasser dümpelte, war eine Ausnahme.
    Augustus Island war viel größer als die kaum mehr als dreißig Zentimeter aus dem Wasser ragenden Nachbar-Eilande.
    Noch hundert Meter, dann konnten sie aus ihrem bionetischen Lebewesen klettern und zu Fuß weiter gehen.
    Fast alle Inseln dieser Region waren nach dem Einschlag des Wandlers entstanden: Die Katastrophe hatte damals nicht nur einen nuklearen Winter ausgelöst, sondern auch das Antlitz der Erde verändert.
    Manche Inseln in der Umgebung waren so klein, dass sie nicht mal eine Familie ernähren konnten. Andere
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